Zukunftsfähige Politik

Ausgabe: 2001 | 3

„Der Lebensstandard in Deutschland ist hoch. Um ihn halten zu können, lebt die Gesellschaft über ihre Verhältnisse und auf Kosten der Zukunft.“ (S. 7) Davon ist der Wirtschaftsingenieur und Gründer eines Studienbüros „Jetzt & Morgen“ überzeugt. Und er bezieht dies nicht nur auf die hohen Umweltbelastungen, die wir späteren Generationen hinterlassen, sondern auch auf die gegenwärtige Sozialentwicklung, die für ihn einer „Umverteilung von Arbeitenden zu Besitzenden“ entspricht, auf die weltweite Ungleichverteilung und den Handelsprotektionismus der reichen Ländern sowie - und das ist neu gegenüber anderen Analysen zur Nachhaltigkeit - insbesondere auch auf die „hohe Staatsverschuldung“ und die „zukünftigen Lücken in der staatlichen Rentenversicherung“. Verstärkt werde dieses „Leben über die Verhältnisse“ durch einen kurzsichtigen Umgang mit Problemen und Systemen, der in der „unsystemischen“ Vorstellung gipfle, dass wir unsere volkswirtschaftlichen Probleme durch dauerhaftes Wirtschaftswachstum lösen könnten. Der Grund liegt für den Wirtschaftsberater in der zunehmenden Sättigung unserer Märkte: „Die moderne Industriegesellschaft ist nicht mehr in der Lage, so viele Produkte zu verkonsumieren, wie es nötig wäre, um Volkswirtschaft, Staatshaushalt und Sozialsysteme heutiger Ausprägung zu sanieren und Arbeitslosigkeit zu beseitigen“ (S. 36)

Bezugnehmend auf das Modell vernetzten Denkens und Systemhandelns nach Frederic Vester, kritisiert der Autor, dass lediglich Problemsymptome angegangen und die Kosten unseres Handelns verschleiert werden. Als Beispiel nennt er u.a. die häufig widersprüchliche Subventionspraxis, womit die Selbsststeuerung im Gesamtsystem außer Kraft gesetzt werde.

Becker plädiert nun nicht für ein völliges Laissez faire oder einen wilden Wirtschaftsliberalismus, sondern für eine geänderte Geld- und Finzanz, Sozial-, Budget- und Steuerpolitik. Er unterbreitet eine Vielzahl von Vorschlägen - das Buch entspricht einem ganzen Regierungsprogramm -, die im Kern auf ökonomische Transparenz, Selbstregulation und Vereinfachung hinauslaufen. Beispiele wären: Strikter Abbau der öffentlichen Verschuldung (um der Zinseszinsfalle zu entgehen; vorgeschlagen wird auch eine Art doppelter Buchhaltung für den Staat, Rücklagen für Politikerpensionen u.a.; demokratiepolitisch nicht unproblematisch ist der Vorschlag, die Höhe der Neuverschuldung einer Expertenkommission zu übertragen); Abkehr vom Subventions- hin zu einem Investitionssystem (Zukunftsinvestitionen sind für Becker nicht nur Bildungs- und Forschungsanstrengungen, sondern auch Sozial- und Jugendarbeit, da diese integrativ wirken; keine Subventionen für Konsumleistungen); Wandlung von der Objekt- zur Subjektförderung (Becker schlägt eine vereinfachende Abwicklung von Transferzahlungen durch das Finanzamt nach dem Modell der negativen Einkommenssteuer vor); Verringerung der Steuerquote, aber „Beteiligung“ aller Einkommen an der Steuerleistung (die derzeit zu Lasten der Arbeitseinkommen funktioniert). Der Wirtschaftsberater fordert auch eine Selbstregulierung des Zinses durch den Markt (was der realen Wirtschaftskraft entspräche; die Hochzinspolitik macht für ihn die Geldbesitzer zu doppelten Gewinnern und treibt auch die Staatsverschuldung weiter in die Höhe), eine Konzentration auf Klein- und Mittelbetriebe, Kostentransparenz bei allen öffentlichen Dienstleistungen (von der (Auto)-Mobilität bis zum Gesundheitswesen) sowie mehr Eigeninitiative und Eigenvorsorge der BürgerInnen (Grundrente, Ergänzung des Umlageverfahrens durch diversivizierte Eigenanlagen).

Von der Politik fordert der Autor schließlich eine Versachlichung der Debatten, das Abgeben vom Aufgaben („nicht alles regeln wollen“), eine Reduzierung des Parteieneinflusses auf das ihnen vom Grundgesetz (Mitwirken bei der politischen Willsensbildung) zugedachte Ausmaß, mehr direkte Demokratie, sowie strikte Anwendung des Subsidiaritätsprinzips.

Die von Becker unterbreiteten Vorschläge sind eine spannende Anregung für weitere fachliche Debatten. Sie treffen den Kern des Problems insofern, als Nachhaltigkeitsappelle ins Leere laufen (wie etwa das Beispiel Autofahren zeigt), solange am gegenwärtig praktizierten Konsummodell festgehalten wird. Der Fetisch Wachstum ist nicht nur ökologisch, sondern auch kulturell eine Sackgasse. Und andere in der Welt haben auch das Recht auf einen höheren materiellen Standard. Becker dazu treffend: „Globalisierung im positiven Sinn bedeutet also für die Industriestaaten, einen Teil ihres Wohlstandes abzugeben.“ (S. 26) H. H.

Becker, Andreas: Zukunftsfähige Politik. Volkswirtschaftliche, ökologische und soziale Aspekte vernetzt. München: ökom, 2001. 211 S., DM / sFr 33,25 / öS 260,-