Zukunftsfähigkeit: Herausforderung an Wissenschaft & Politik

Ausgabe: 1998 | 1

Ihn zeichne, schreibt Friedhelm Neidhardt, der Präsident des Wissenschaftszentrums Berlin (WZB), über seinen Kollegen Udo E. Simonis, "eine Fröhlichkeit zum Widerstand" aus. Es ist produktiver Widerstand, motiviert vom kollektiven Verdrängen des Zusammenhängenden und dem verfänglichen Denken in vorgegebenen Bahnen. Simonis, von seiner Ausbildung her Ökonom, ist Grenzgänger und ”Generalist" par excellence, denn sein Thema, die Zukunftsfähigkeit, verlangt nach Zusammenschau und führt zur Kritik herkömmlicher Disziplinen.

So ist es denn auch nicht überraschend, daß in einer Festschrift zu Ehren des konstruktiven Zukunftsdenkers Philosophen, Ökonomen und Ökologen, Soziologen und Politiker ebenso zu Wort kommen wie Vertreter der Theologie oder der Stadtplanung. Die Beiträge - z.T. in englischer Sprache - sind in fünf Abschnitte gegliedert. Eingangs geht es um Reformvorschläge für die Wirtschaftswissenschaften, die - so formuliert es Paul Streeten von der Universität Boston sinngemäß - "zu eng geworden und zu fern von der Realität angesiedelt" sind. Auch Bernd Siebenhüner stellt der linearen Rationalität des ,homo oeconomicus' den ,homo oecologicus' gegenüber, der biologische, soziale und ethische Gesichtspunkte mit in seine Entscheidungen einbringt. Die Option Sonnenenergie erörtert Hans Chr. Binswanger als zwar ernstzunehmenden Faktor auf dem Weg zur ökologischen Steuerreform, doch dämpft er zugleich allzu große Erwartungen, da Sonnenlicht dezentral und unregelmäßig verfügbar ist aber primär zentral und kontinuierlich zur Verfügung stehen müßte.

Als Alternative zum Bruttosozialprodukt stellt schließlich Chr. Leipert das Modell eines "Öko-Inlandprodukts" zur Diskussion. Der Kategorie ”Zukunftsfähigkeit" wenden sich im folgenden G. Altner (über die Weisheit) die Juristin E. Brown Weiss (Intergeneratives Recht) und die Friedensaktivistin A. Vlavianos-Arvanitis mit einer Reihe von konkreten Vorschlägen (etwa in Richtung einer "Bio-Olympiade") zur Förderung bio-zentrischer Orientierung zu. Daß die rational stichhaltige Umsetzung derartiger Vorschläge indes kaum durch Appelle erreichbar ist, sondern primär der Überwindung des konsumorientierten Lebensstils des Einzelnen bedarf, ist Thema von zwei weiteren Beiträgen.

Ansätze, Barrieren und Erfolge einer "WeItumweltpolitik" sind Gegenstand des dritten Abschnitts, wobei insbesondere das Nord-Süd-Verhältnis im Mittelpunkt steht.”Zukunftsfähigkeit in der politischen Praxis" steIlen neben anderen E. Benedick, der US-Delegationsleiter bei der Ausarbeitung des Montrealer Abkommens zum Schutz der Ozonschicht, sowie Heide Simonis / I. v. Homeyer zur Debatte. Mit Blick auf die "Standort-Diskussion" (nicht nur in Deutschland) kommen sie zu dem Ergebnis, daß Umwelt- und Arbeitsmarktpolitik einander nicht ausschließen, sondern vielfach synergetische Effekte nachweisbar sind.

Der letzte Abschnitt dieses facettenreichen Bandes schließlich faßt unter dem Titel ”Industrieller Metabolismus" praktische Erfahrungen beim Umbau der Industriegesellschaft in Richtung ”Zukunftsfähigkeit" zusammen. So berichtet E. Hahn über das Projekt "Ökologischer Stadtumbau" in Leipzig, skizziert E. Schramm Voraussetzungen nachhaltigen Wassermanagements, und sieht S. Büttner die Herausforderung an Unternehmen jenseits der technischen Entwicklung und quantitativ orientierter Ökobilanzen v. a. in der kulturellen Entfaltung und Herausbildung immaterieller Werte.

W Sp.

Zukunftsfähige Entwicklung. Herausforderungen an Wissenschaft und Politik. Festschrift für Udo E Simonis zum 60. Geburtstag. Hrsg. v. Frank Biermann ...Berlin: Ed. Sigma, 1997. 330 S., DM 44, - / sFr 41, - / öS 321,-