Zukunftsfähige Gesellschaft

Ausgabe: 1997 | 1

Netzwerk Zukunft e. V. gestaltete, unterstützt von der Stiftung Mitarbeit, im Frühjahr 1995 eine hochkarätig besetzte Tagung, deren Beiträge - ich sage dies im Wissen um eine Reihe vergleichbarer Kompendien mit ähnlicher Fragestellung - zum Profundesten und Spannendsten zählt, was in diesem Zusammenhang Stand der Dinge ist oder besser: sein sollte. Zunächst wird in fünf Beiträgen Begriff und Konzepte des "Leitbilds Nachhaltigkeit" in den Blick genommen. U.a. legt J. Kopfmüller dar, daß die normative Größe "Sustainable Development" nur dann als zukunftsfähig anzusehen ist, wenn neben ökologisch-ökonomischen Aspekten die soziokulturelle und politisch-partizipatorische Dimension mit in den Blick genommen wird. Ähnlich argumentiert H.-J. Harborth, der im aktuellen Nachhaltigkeitsdiskurs die Dominanz der Ökonomie beklagt, die unter dem Banner der ökologischen Modernisierung letztlich auf die Beherrschbarkeit des Fortschritts und seiner Folgen setzt. "Nur wenn es gelingt, einen breiteren öffentlichen Diskurs über den (technischen) Fortschritt zu entwickeln, in dem ... eine Gesamtbilanz verschiedener Zukünfte erarbeitet wird, gibt es (noch) Chancen für eine tragfähige Zukunft", ist K. F. Müller-Reißmann überzeugt. Neben den (u. a. auch von den Herausgebern kritisch hinterfragten) Perspektiven für ein “Zukunftsfähiges Deutschland" (vorgestellt von R. Loske und W. Jung vom Wuppertal Institut) sind insbesondere die Überlegungen von Sigrun Preuß über psychische Barrieren und deren Überwindung auf dem Weg zu umweltgerechtem Alltagsverhalten hervorzuheben. Gestaltungspotentiale und Handlungsfelder der politischen und partizipatorischen Praxis werden im folgenden Abschnitt differenziert diskutiert. Während etwa O. Renn (Akademie für Technikfolgenabschätzung in Stuttgart) eine Lanze für kooperative Diskurse zur Umsetzung nachhaltiger Entwicklung bricht, weisen R. Keller/A. Poferl darauf hin daß die reflexive Moderne durch das Aufeinanderprallen zweier , Risikokulturen " gekennzeichnet sei die auch durch Mediationsverfahren nicht zu harmonisieren sind. Wo die Frage unterschiedlicher zivilisatorischer Rationalitäten zur Disposition steht, wirkt der subpolitische Diskurs vielmehr systemstabilisierend, indem er den Protest durch die erwartete" Einsicht in das Notwendige" abfedert, daß in Bezug auf  die unternehmerische Praxis "additives Umwelthandeln " nicht ausreiche, sondern durch partizipative, integrative und informell-kognitive Kapazitäten ergänzt werden müsse, legt M. Jänicke dar. ·U. a. plädiert er für die wirksame Repräsentanz von Zukunftsinteressen. den Ausbau von Vetorechten und die systematische "Entwicklung partizipatorischer Alltagsroutinen im Vorfeld des Staates". Perspektiven und Kritik des (nachhaltigen) Wirtschaftens sind Gegenstand des dritten, abschließenden Abschnitts. S. Bringezu legt u. a. dar, daß es in Anbetracht globaler Verantwortung darum gehe, die "ökologischen Rucksäcke neu zu schnüren" (Stichwort: Faktor 10). V. Teichert will die Ansätze zur Umweltberichterstattung und Ökobilanzierung im Sinne dauerhafter Entwicklung um "akteursbezogene Strategien" ergänzt wissen, und Rolf Kreibich beschäftigt sich –  ansatzweise – mit “Zukunftstauglichen Wettbewerbsmustern". Den fulminanten Höhe- und Endpunkt der Tagungsbeiträge steuert Otto Ullrich bei. Um der" Prozeßlogik des Kapitals" und deren Folgen - Entgrenzung, Ichzentrierung und Beutemachen - zu brechen, bedürfe es neben der "Entrümpelung im Kopf" v.a. der "Wiedergewinnung des Politischen". Nur so könne es gelingen, das vorgelebte Beispiel von Pionieren durch strukturelle Veränderungen zu befördern. Kein „Schmusekurs“ der allgemeinen Freiwilligkeit mit Konsensbereitschaft sei angesagt, sondern eine bewußte Konfliktstrategie, die einen ökologischen Keil in ,die Wirtschaft' treibt". Ergebnis dieser Triebkraft könnten, so Ullrich, neue Verfassungsorgane der ökologischen Umsteuerung sein. Es gehe nicht zuletzt darum, die Grundrechte von Mensch und Umwelt vor den Interessen einer" Bequemlichkeits- und Kommerzdiktatur" zu schützen. W Sp.

Zukunftsfähige Gesellschaft. Demokratische Entscheidungen für eine dauerhaft tragfähige Gesellschaft. Hrsg. v. Klaus Burmeister ... Bonn: Stiftung Mitarbeit, 1996. 231 S.

 

Weiterführender Literaturhinweis: Einen aktuellen Überblick über den Stand der wissenschaftlichen Diskussion zum Thema nachhaltige Entwicklung sowie eine Zusammenstellung der in diesem Zusammenhang von der Bundesrepublik Deutschland eingegangenen Vereinbarungen bietet der Band: Nachhaltige Entwicklung. Leitbild für die Zukunft von Wirtschaft und Gesellschaft. Hrsg. v. Ralf Kreibich. Weinheim (u.a.): Beltz, 1996. 224 S. (ZukunftsStudien; 17)