Zukunfts-Illusionen

Ausgabe: 2008 | 4

 Neidisch und zugleich kritisch beäugt die „seriöse“ Zukunftsforschung die Erfolge und Heilsversprechen der Trendforschung, die immer auch einen Wettbewerbsvorteil gegenüber der Konkurrenz in Aussicht stellt. Einer der vehementesten Kritiker dieser Branche, Holger Rust, Professor für Arbeits- und Wirtschaftssoziologie, hat nun nach „Trendforschung – Das Geschäft mit der Zukunft“ (1996), dem „Anti-Trendbuch“ (1997) und „Zurück zur Vernunft“ (2002) seine Argumente gegen die „Boulevardforschung“, wie er sie nennt, weiter konkretisiert. Die übliche Eifersucht unter den Zeitgeist-Gurus, die sich mit ihren Prognosen wechselseitig auf die Füße treten, ist ihm fremd. Seine Kritik an der Trendforschung ist grundsätzlicher Art.

Boulevardisierung der Forschung Rust hält zwar eine seriös betriebene Trendforschung für möglich, sieht sie aber mit Sicherheit nicht in jener Ecke angesiedelt, aus der uns regelmäßig die neuesten „Megatrends“ und angeblichen Feinanalysen des momentan herrschenden Zeitgeistes erreichen. Die marktmäßige „Verwurstung“ einer anfänglich noch akademisch geprägten „Futurologie“ habe nach seiner Einschätzung bereits in den siebziger und achtziger Jahren mit den Bestsellern von Alvin Toffler und Herman Kahn begonnen. Die Prognosen der heu-tigen „populistischen Trendforscher“ wie John Naisbitt, Faith Popcorn, Matthias Horx oder Gerd Gerken seien „nichts anderes als die semantische Politur des Selbstverständlichen“. Diese „Boulevardisierung der Zukunftsforschung“, die sich in der „Erfindung exotischer Begriffe für Märkte, Zielgruppen, gesellschaftliche Tendenzen, Konsumorientierungen, soziale Wandlungsprozesse“ überbietet, verändert für Holger Rust die Berufsaussichten von Studierenden der Sozialwissenschaften erheblich – „vor allem, wenn sie auf die Einhaltung der Regeln der empirischen Forschung wie der journalistischen Recherche eingeschworen werden“. „Angesichts des erfolgreichen Versuchs der Trendforschungsszene, sich in Medien und Unternehmen als pragmatische Alternative zur altbackenen und von der Komplexität der Wirklichkeit erschütterten Sozialwissenschaft zu positionieren, muss man befürchten, mit einer solchen Ausbildung einen Wettbewerbsnachteil zu produzieren.“ (S. 12) Was bei der Trendforschung als Wissenschaft deklariert wird, sei oft nichts anderes als methodologische Scharlatanerie und konstruiere aus anekdotischen Beweisketten und Bruchstücken andernorts erarbeitete Einsichten, kritisiert Rust. Auch ihr Anspruch, eine Universalwissenschaft zu begründen, sei geradezu absurd: “Die Anmaßung, dass hier eine einzelne Person die gesamte Wissenschaft neu erfindet, wirkt, vorsichtig ausgedrückt, verwunderlich, bleibt aber ein wesentliches Grundelement der Vermarktungsstrategie.“ (S. 92) Diese findet sich wieder in den opportunistisch auf die Interessen von Abnehmern ausgerichteten „Studien“ diverser „Zukunftsinstitute“ und Trendbüros sowie der dort erfundenen Trends, wobei nach Einschätzung von Holger Rust die Trends meist außer Acht gelassen werden könnten, weil sie ohnehin nur die absehbaren logischen Entwicklungen der biografischen Umbrüche wiederholen. Grundsätzlich ist der Wissenschaftler davon überzeugt, dass sich Zukunft nur dadurch bewältigen lässt, „dass sich die Akteure in Wirtschaft und Politik über die Komplexität der Entwicklungen bewusst sind und entsprechende komplexe Reaktionspotenziale aufbauen“ (S. 13). Die professionellen Wirtschafts- und Sozialwissenschaften weisen weder einfache Wege in die Zukunft, noch solche, die unmittelbar umsetzbar sind. „Die Boulevardforschung verspricht aber in ihrem strategischen Opportunismus genau das, kaschiert die Trivialität ihrer Befunde mit einem anspruchsvollen rhetorischen Konstruktivismus, der dem in der Alltagsroutine befangenen Kunden den Eindruck weit ausgreifender Innovation vermittelt.“ (S. 12)

Kriterien der Wissenschaftlichkeit Die wissenschaftliche (Zukunfts-)Forschung müsse auch, unter dem Druck ihrer Einsichten in die unausweichlich wachsende Komplexität der Wirklichkeit, die Kontingenz der soziokulturellen und wirtschaftspolitischen Entwicklung, die wechselseitigen Wirkungen einer großen Zahl von Komponenten in unüberschaubaren Umwelten (S. 68) den zur Schau gestellten Optimismus der Trendforschung immer wieder dämpfen, was ihr den Vorwurf des Alarmismus bzw. Pessimismus einbringt. Trotzdem gibt es, so der Autor, seriöse Forschung über die Bedingungen, die entscheidend sind für unsere gesellschaftliche, wirtschaftliche und politische Zukunft, die zudem die Kriterien der Wissenschaftlichkeit ernst nehmen. Einige davon seien kurz genannt wie etwa die „Typologie der Wünsche“ aus dem Burda-Verlag, die Werbeträgeranalyse des Allensbacher Instituts oder die auch von uns sehr geschätzte Schriftenreihe „Globale Trends“ der Stiftung Entwicklung und Frieden. Zweifellos markiert der Erfolg der „Trend-Soziologisten“ auch publizistische Defizite der professionellen Soziologie, wie auch Rust eingesteht. Will diese dem Bedürfnis nach sozialwissenschaftlicher Welterklärung und Handlungsorientierung nachkommen, muss sie ihre wissenschaftlichen Inhalte auch anschaulich vermitteln. wird sie diese Defizite schnell abstellen müssen.

 

Rust, Holger: Zukunfts-Illusionen. Kritik der Trendforschung. Wiesbaden: VS Verl. f. Sozialwiss., 2008. 174 S., € 19,90 [D], 20,50 [A], sFr 33,80 ISBN 978-3-531-15659-0