Michael Wolffsohn

Zivilcourage

Ausgabe: 2017 | 3
Zivilcourage

Michael Wolffsohn, emeritierter Professor von der Universität der Bundeswehr München, ist bekannt für seine kontroversen Ansichten, sei es zur Wehrpflicht, das Verhältnis Deutschland - Israel oder seine offene Haltung gegenüber umstrittenen Methoden im Kampf gegen den Terror. Die Grundthese seines schmalen Bandes „Zivilcourage“ vertritt die Ansicht, dass die vielfach gelobte und eingeforderte Zivilcourage von individuellen BürgerInnen nichts weiter als ein Symptom für Staatsversagen ist und den Niedergang des staatlichen Gewaltmonopols fördert. Mit Aufrufen zur Zivilcourage Seitens der Politik bringe der Staat seine BürgerInnen nicht nur in Gefahr, sondern fördere Unfrieden zwischen politisch Andersdenkenden, die sich auf Zivilcourage berufen, um ihre persönlichen Ansinnen durchzusetzen. Zahlreiche Beispiele für tödliche Ausgänge von bürgerlicher Zivilcourage sowie der Verweis auf eine zunehmend erhitzte Stimmung im Zuge von PEGIDA-Demonstrationen und Gegen- demonstrationen untermauern die These: „Der bei uns in der Regel nicht bewehrte und bewaffnete, also wehrlose Bürger ist aufgerufen, Bürgerwehr zu spielen.“ (S. 21)

Nach Ansicht des Autors ist die erste und wichtigste Staatsaufgabe, das Recht auf Leben zu sichern und erst danach die Freiheit und das Streben nach Glück: „Der Staat muss uns quasi körperlich schützen, nicht wir den Staat.“ (S. 42) Diese Schutzfunktion werde aber zunehmend unterminiert, wobei der Grund für diesen Prozess in fünf Revolutionen zu finden sei, die derzeit in vielen Gesellschaften stattfinden:

Zunächst die demographisch-gesellschaftliche Revolution als Resultat globaler Migration, die mitunter zu gewalttätigen Auseinandersetzungen führt, auf welche der Staat nur unzureichend reagiert; weiters die politisch-ideologische Revolution, sichtbar in fortwährenden Prozessen von Staatszerfall und dem Entstehen neuer Staaten in Osteuropa, dem Nahen Osten und Afrika sowie dem Aufstieg rechtspopulistischer Parteien in Europa. Die damit verbundene nationale Revolution verweist auf das Fehlen steuernder Politik: Anstelle von Zivilcourage-Demonstrationen bräuchte es  konkrete politische Maßnahmen, um den Aufstieg von Rechtsradikalismus und Nationalismus zu unterbinden. Die wirtschaftliche Revolution, die häufig Verlierer produziert, trägt zum Problem bei, indem einerseits Fluchtbewegungen gefördert, andererseits die Verlierer in den Aufnahmeländern zur Radikalisierung getrieben werden. Schlussendlich ortet Wolffsohn eine kulturelle Revolution: eine Zunahme von politischer Gewalt seit den 60er-Jahren, einhergehend mit sprachlicher Verrohung und der Unterminierung von Polizeiarbeit, welche das staatliche Gewaltmonopol unterminiert.

Wolffsohn schließt seine Ausführungen mit dem Appell, auf „Zivilität“ anstelle von Zivilcourage zu setzen: ein gemeinsames Lebensgefühl und ein geteilter Wertmaßstab, der keinen Bürgermut braucht und Politik als Steuerungsvorgang zurück ins Zentrum des Staates holt (S. 84f.). Was dem Buch fehlt, ist eine Agenda auf dem Weg zu einem starken, gesicherten demokratischen Staat: Braucht es dafür eine allgegenwärtige Polizei? Härtere Strafen? Gar ein Überdenken des absoluten Folterverbots? Während es keine Frage ist, dass das Gewaltmonopol des Staates nicht unterminiert werden darf, bleibt der Autor konkrete Beispiele für einen solchen Sicherheits-Staat ohne autoritäre Tendenzen schuldig.