Friederike Otto

Wütendes Wetter

Ausgabe: 2019 | 4
Wütendes Wetter

Die Klimawissenschaftlerin, Physikerin und Philosophin Friederike Otto hat mit „Wütendes Wetter. Auf der Suche nach den Schuldigen für Hitzewellen, Hochwasser und Stürme“ ein Buch vorgelegt, welches für die aktuellen Debatten rund um den Klimawandel eine wichtige Rolle spielen sollte. Denn Otto gehört zu einem kleinen Kreis von WissenschaftlerInnen, denen es gelungen ist, einzelne Wetterereignisse dem Klimawandel zuzuordnen, mittels eines neuen Zweiges in der Klimaforschung: der Zuordnungswissenschaft („attribution science“). Zuordnungswissenschaft rechnet mit komplexen Modellen die Wahrscheinlichkeit aus, mit der der Klimawandel ein bestimmtes extremes Wetterereignis beeinflusst, wahrscheinlicher oder weniger wahrscheinlich macht, oder ob er gar keine Rolle für ein Wetterereignis spielt. Mit diesem Ansatz wird es zum ersten Mal möglich, den Klimawandel konkret sichtbar zu machen. Bislang haben KlimaforscherInnen Abstand von Aussagen zu aktuellen Wetterereignissen gehalten, weil das seriöse Werkzeug fehlte, um entsprechende Schlussfolgerungen zu ziehen. Stattdessen wurde auf die Langfristigkeit von Klimaänderung verwiesen. Damit blieb der Klimawandel abstrakt und schwer greifbar – das hat sich erst mit der Zuordnungswissenschaft geändert, die endlich zeigen kann, dass der Klimawandel hier und jetzt das Wetter und damit unser Leben beeinflusst, ohne für alle Extremwetterereignisse verantwortlich zu sein. Die Autorin ermöglicht somit eine differenzierte Debatte jenseits von Panikmache: „Denn der Klimawandel, den wir in Gang gesetzt haben, kann nicht für jedes einzelne Wetterereignis verantwortlich gemacht werden, auch wenn das die Schlagzeilen in den Zeitungen oft nahelegen. Die korrekte Antwort auf die Frage, ob das Wetter extremer geworden ist, lautet also: in vielen Fällen ja – aber eben nicht immer und unter allen Umständen.“ (S. 11)

Wie Zuordnungswissenschaft funktioniert, wird am Beispiel des Hurrikans Harvey dargestellt, der im August 2017 die US-Großstadt Houston verwüstete. Jeder Tag wird im Detail durchgespielt: wie die Nachricht das Wissenschaftsteam erreicht, wie die Auswirkungen des Hurrikans dokumentiert werden und wie das Team in einem enormen Kraftakt ein Modell errechnet, das belegt, dass zwar Extremregen in der Region statistisch alle 9000 Jahre vorkommen kann – doch dass der Klimawandel die Wahrscheinlichkeit massiv erhöht hat. Anhand dieses Beispiels zeigt die Autorin die Herausforderungen, vor denen die noch sehr junge Wissenschaft steht: Daten, die erst gesammelt werden müssen, Modelle, die auf ihre Robustheit abgeklopft werden sollen, Skepsis bei arrivierten KollegInnen.

Zuordnungswissenschaft macht Klimawandel greifbar

Otto zeichnet die Etablierung der Zuordnungswissenschaft so spannend wie einen Krimi nach. Dabei erklärt sie auch grundlegende Fakten zum Klimawandel: wie der Treibhauseffekt entsteht, welche Rolle Verdunstung und die Erwärmung der Ozeane spielen sowie die damit einhergehende Änderung der Luftzirkulation – der „Jetstreams“, die dem Klimawandel je nach Erdregion ein anderes Gesicht geben. Thematisiert werden auch die Bemühungen von Politik und Wirtschaft, den Klimawandel kleinzureden oder gar zu leugnen, oftmals mit der Hilfe millionenschwerer Kampagnen und den Medien: „Den Meinungsmanipulator*innen kommt dabei eine Tugend der Journalist*innen entgegen: ausgewogen zu berichten und immer auch die Gegenseite zu befragen. Das aber hat, wenn auf einmal die Existenz des menschengemachten Klimawandels als Kontroverse und nicht als Fakt betrachtet wird, die Folge, dass Klimaskeptiker*innen eine Bühne bekommen, die ihnen angesichts ihrer krassen Außenseiterposition keinesfalls zustehen dürfte.“ (S. 49) Für eine junge Disziplin wie die Zuordnungswissenschaft bedeuten diese Punkte, besonders vorsichtig und sorgfältig zu sein.

Zuordnungswissenschaft ist zunächst eine Rekonstruktionswissenschaft: Der erste Schritt ist, zu verstehen, wie das Wetter ohne Klimawandel aussähe. Erst dann lässt sich berechnen, wie weit das aktuelle Wetter davon abweicht und damit, welchen Effekt der Klimawandel hat. Die Frage ist also, wieviel Klimawandel in einem Extremereignis steckt. Vor allem bei Hitzewellen ist oft weniger Klimawandel „drinnen“ als erwartet, das Gleiche gilt für Starkregen – solche extremen Ereignisse hat es immer wieder gegeben. Gleichzeitig erhöht der Klimawandel die Wahrscheinlichkeit, dass diese Ereignisse häufiger auftreten: „Ein November ohne Nachtfrost wie im Jahre 2011 ist ungefähr alle 20 Jahre zu erwarten in unserer Welt mit Klimawandel. Ohne Klimawandel nur alle 1250 Jahre.“ (S. 108) Otto betont, dass für die katastrophalen Auswirkungen von Extremwetterereignissen häufig nicht der Klimawandel verantwortlich ist, sondern menschliche Fehlplanung: etwa, wenn in Überschwemmungsgebieten gebaut wird, Flüsse eingesperrt oder natürliche Schutzbarrieren wie Wälder vernichtet werden. Oft dient der Klimawandel als bequeme Ausrede – ein abstraktes, mächtiges Phänomen, dem der Mensch nichts entgegenhalten kann, vor allem in Entwicklungsländern: „Andererseits verweisen viele Regierungen im globalen Süden oft reflexhaft auf den Klimawandel und die historische Schuld des Westens, wenn ein Sturm oder eine Hitzewelle ihr Land plagt, obwohl die Ursachen in vielen Fällen hausgemacht sind.“ (S. 136) In solchen Fällen sorgt die Zuordnungswissenschaft für Klarheit und fordert damit PolitikerInnen zum Handeln auf, wenn klar wird, dass es ungenügende Bausubstanz, Fehlplanungen in der Landwirtschaft oder Ausbeutung natürlicher Ressourcen sind, die Menschen verletzlich machen.

„Nicht zu handeln ist keine Option mehr“

Um den Klimawandel einzubremsen, braucht es einen Systemwechsel, vor allem in den Industriestaaten, die historisch und aktuell die größten CO2-Emittenten sind, während die Entwicklungs- und Schwellenländer mit den gravierendsten Folgen zu kämpfen haben. So ein Wechsel wird erst möglich werden, wenn Klimaschäden in ökonomische Schäden übersetzbar sind und in den CO2-Preis Folgeschäden eingepreist werden. Eine ähnliche Verantwortung wie die Industriestaaten tragen große Konzerne, die maßgeblich zum Klimawandel beitragen. Zuordnungswissenschaft kann mit den neuen Methoden den Beitrag von einzelnen großen Firmen zum Klimawandel berechnen. Damit werden völlig neue Wege eröffnet, große Konzerne zur Verantwortung zu ziehen – zum Beispiel durch Gerichtsklagen, wie sie etwa 2018 gegen Exxon Mobil in den USA eingebracht wurden. Die Autorin betont, dass dank der Zuordnungswissenschaft klar wird, dass wir nicht alle gleich Schuld am Klimawandel haben – eine apologetische Strategie, die von Konzernen gerne verwendet wird. Was bleibt, ist ein Fazit: „Nicht zu handeln ist keine Option mehr“ (S. 145).

Ottos großer Verdienst ist es, diese komplexe Wissenschaft in spannenden, einfachen Worten zu präsentieren – das Buch ist somit auch ohne Vorkenntnisse sehr gut lesbar und bringt einen echten Erkenntnisgewinn in Sachen Klimawandel. „Wütendes Wetter“ hat es verdient, so weit wie möglich verbreitet zu werden – das Sachbuch der Stunde.