Wissenschafts- & Medienwissen. Chancen auf Erkenntnis?

Ausgabe: 1999 | 1

Mit einem hellsichtigen Essay zum Verhältnis von Wissenschaft und Journalismus, aber auch zur Misere (nicht nur) der Schule im Ringen um ihr Selbstverständnis angesichts neuer Kommuniktionstechnologien spricht Manfred Jochum, Leiter der ORF-Hauptabteilung „Wissenschaft und Gesellschaft”, einige der wohl drängendsten Fragen unserer Epoche an: Chancen und Grenzen, Wissen zu erlangen und umzusetzen, da Informationsmüll und Belanglosigkeiten den Weg zu Erkenntnis verbauen. Nicht die Widerlegung hartnäckig tradierter Vorurteile, wonach die (Geistes)Wissenschaft das „Verfassen von Anmerkungen zu Anmerkungen [so lange kultiviert,] bis die Welt verlorengeht”, oder die Auffassung, wonach „Journalisten nur mäßig gebildet, nur an Sensationen und nicht an den wirklichen Ergebnissen von Wissenschaft und Forschung interessiert“ seien, ist Jochums Anliegen. Vielmehr sieht er beide Seiten als „Problemlösungspartner” und fragt danach, welchen Veränderungen der Erwerb von Wissen und Information in Zeiten der „electronic memory” ausgesetzt ist. In dieser vierten Stufe der Vermittlung zwischenmenschlicher Welterfahrung - vorangegangen sind die orale Tradierung, die Schrift und der (Buch)Druck - hätten sich „Wissenschaftswissen und Medienwissen mehr denn je von einander entfernt” (S. 22), wobei zunehmend „nicht die ‚harte Kontrolle‘ von Territorien, sondern die ‚weiche Kontrolle‘ von Wissen, die Verarbeitung von Informationen und die Beherrschung der Geschwindigkeit zu deren Umsetzung zur eigentlichen Machtressource” geworden ist (S. 33). Gleichermaßen unstrittig - und eine Herausforderung ganz neuer, komplexer Art ist, daß im bereits von statten gehenden „totalen ... integralen Unfall der Information” (P. Verilio) „Wissen durch Kommunikation, Kommunikation durch Information [und] Information durch Sensation [verdrängt wird]”. (S. 47)

Mit triftigen Argumenten macht Jochum in dieser Kaskade zunehmend unkontrollierbarer Datenstöme auf Risiken aufmerksam, die von Apologeten des Internet nicht gesehen, oder bagatellisiert werden. Nicht nur der hochfliegenden Hoffnung etwa eines Marivn Minsky auf den Triumph des menschlichen Geistes bis hin zur Überwindung der ‚Conditio humana’, auch der Erwartung, durch allgemeinen Zugriff auf intelligente „Informations-Management-Systeme” das Problem in den Griff zu bekommen, steht der Verfasser skeptisch gegenüber. Denn Information setzt Vertrauen voraus voraussetzt, bedarf also einer „glaubwürdigen Vermittlungskompetenz“, die von Maschinen (wohl bis auf weiteres) nicht zu erlangen ist. Auch die Erwartung so mancher medieneuphorischer Pädagogen vom Kaliber eines Peter Struck, die mit der Vision der „Schule am Netz” in Sachen Lehren und Lernen gleichsam das Ei des Columbus entdeckt zu haben meinen, steht der Autor mehr als skeptisch gegenüber: ein Piano in einer Schulklasse bringe noch lange keine Klasse von Klaviervirtuosen hervor... Daß hingegen medienerfahrene Studierende an der York-University in Toronto 1997 in einen zweimonatigen Streik traten, um gegen den Online-Unterricht und damit gegen die Kommerzialisierung und Verflachung der universitären Ausbildung zu protestieren, sollte zu denken geben.

Mit diesem schmalen Bändchen - hervorgegangen aus einem an der Universität Innsbruck gehaltenen Vortrag - hat Manfred Jochum einen gehaltvollen Beitrag zur kritischen Reflexion dessen vorgelegt, was - in welcher Form auch immer -Triebkraft der Informations- und Wissensgesellschaft im kommenden Jahrhundert sein wird: Wissenschaft und Medien sind wohl gleichermaßen gefordert, das richtige Mischungsverhältnis im Spannungsfeld von globaler Problemlösungskapazität, kommerziellen Interessen und dem (legitimen) Bedürfnis nach Sensationen zu finden.

W.Sp.

Jochum, Manfred: Wissenschaftswissen und Medienwissen oder: Die Virtualität des Wissens. Innsbruck: Studien-Verl., 1999. 64 S., DM 13,50 / sFr 13,- / öS 98,-