Wirtschaft global gestalten

Ausgabe: 2014 | 1

„Wirtschaft kann ebenso wenig wie ein Fußballspiel ohne Regeln vernünftig funktionieren. Die Abstinenz von staatlicher Regulierung hat die Dominanz wirtschaftlicher Macht gefördert und die normalen Bürger immer mehr an den Rand gedrängt.“(S. 204) So die mittlerweile an mehreren Stellen geäußerte Basisthese eines von Heiner Flassbeck gemeinsam mit einem renommierten, internationalen ExpertInnen-Team verfassten Bandes, der eindringlich für die Schaffung eines „legalen globalen Rahmens“ für die sich globalisierte Wirtschaft plädiert. Gewählt wird hierfür die Form eines „Manifestes“, welches in fünf Punkten den Band beschließt.

Vorangestellt sind Analysen zur aktuellen Lage mit jeweils unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen. Paul Davidson von der Universität von Tennessee erinnert eingangs an die Thesen von Keynes, dass ein Staat mit höheren Einnahmen zur Bedienung seiner ausstehenden Schulden nur rechnen könne, „wenn es zu einer Steigerung der Einkommen in der Volkswirtschaft kommt“ (S. 32), und dass in einer globalisierten Wirtschaft immer ein Ausgleich zwischen Staaten mit Handelsüberschüssen und solchen mit Handelsdefiziten gelingen müsse, wenn Wirtschaftskrisen verhindert werden wollen. Der renommierte Ökonom James K. Galbraith räumt in der Folge mit dem Theoriegebäude der freien Märkte und der ihr folgenden „orthodoxen Wirtschaftspolitik“ auf. Wie nach der Weltwirtschaftskrise von 1929 sei auch jetzt ein Paradigmenwechsel angesagt. Da den Rohstoffkrisen der 1970er-Jahre vornehmlich mit Sparpolitik (Strategie der „Großen Mäßigung“) begegnet worden sei und nicht mit einer Internalisierung der „Rohstoffkosten in das ökonomische Denken“ (S. 41), wanderte das Kapital immer stärker in den von Rohstoffen unabhängigen Finanzsektor, der seit den 1980er-Jahren zum dominanten Wirtschaftsakteur geworden sei, so die These von Galbraith. Der Finanzsektor wurde immer mächtiger: „Mit zunehmendem Reichtum kam zunehmende Macht, und die Banken übten – letztendlich erfolgreich – Druck aus, um eine Deregulierung ihrer Aktivitäten zu bewirken.“ (S. 449) Der Deregulierung sei nach 2000 schließlich auch ein „Abbau der Überwachung“ gefolgt, was letztlich in die Finanzkrise geführt habe. Neben steigenden Rohstoffkosten (inklusive der Kosten des Klimawandels) sieht Galbraith in den steigenden „Fixkosten“ den entscheidenden Hemmschuh für weitere wirtschaftliche Entwicklung; mit diesen meint er nicht nur ausufernde Staatsausgaben, etwa im Militärbereich, sondern auch Ineffizienzen im Finanzsektor. Anpassungen der Wirtschaft im 21. Jahrhundert mit zu erwartenden höheren Energiekosten müssten sozialverträglich gestaltet werden, also durch qualitätsvolle Sozialleistungen und nicht durch noch mehr privaten Konsum: „Die Industrieländer können ihrer Bevölkerung Stabilität und Sicherheit als Ausgleich für Veränderungen im materiellen Bereich bieten, und sie sollten es auch tun.“ (S. 67)

Exportorientierung allein ist keine Lösung

Heiner Flassbeck zeigt im dritten Beitrag glaubwürdig den engen Zusammenhang von Arbeitsmarkt und Wirtschaftsentwicklung auf. Anders als in der neoklassischen Theorie würden sinkende Löhne nicht zu mehr Beschäftigung führen, sondern im Gegenteil diese ebenfalls sinken lassen, weil so auch die Nachfrage zurückgehe. „Nur wenn die Nominallöhne stetig und im gleichen Maß wie die Produktivitätsentwicklung plus das Inflationsziel steigen, ist sichergestellt, dass die Volkswirtschaft als Ganzes einen ausreichend großen Zuwachs an Nachfrage schafft, um ihre Arbeitskräfte und ihre technischen Kapazitäten voll zu beschäftigen.“ (S. 88) Und Exportorientierung allein – wie dies Deutschland derzeit tut – sei ebenfalls keine dauerhafte Lösung, da dies auf Kosten der Beschäftigung in den Importländern und „zu einer unhaltbaren Akkumulation von Schulden“ (S.92) in diesen führe.

Richard Koo, laut Flassbeck „einer der besten Kenner der japanischen Wirtschaft und global der bekannteste Experte für die Folgen von Finanzkrisen“ (S. 9), schildert in der Folge die Wirkungen von „Bilanzrezessionen“, die laut dem Experten  in der Regel dem Platzen von Vermögensblasen folgten. Gemeint ist damit der Abbau von Schulden von Unternehmen und privaten Haushalten, die aus den Spekulationskrisen entstanden sind. „Wenn der private Sektor aber selbst bei einem Zinsniveau von Null Schulden abbaut, gerät die Wirtschaft in eine Deflationsspirale: Weil niemand mehr Kredite aufnimmt und damit Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen entfaltet, verliert die Wirtschaft kontinuierlich an Nachfrage in der Höhe der nicht verwendeten Ersparnisse.“ (S 106) Japan war in den 1990er-Jahren aufgrund einer Vermögensblase – die Immobilien verloren damals im Durchschnitt um 87 Prozent an Wert - in diese Lage geraten. Nur weil die japanische Regierung sich, wenn auch verzögert, massiv verschuldete, während die Unternehmen sich entschuldeten, sei die Wirtschaft wieder angesprungen, so Koo: „Die Staatsverschuldung nahm aufgrund dieser Finanzpolitik in der Zeit von 1990 bis 2005 um 460 Trillionen Yen oder 92 Prozent des BIP zu. Das ist erheblich. Weitaus höher war jedoch der Produktionswert, der erhalten werden konnte im Vergleich zu einer Depression.“ (S. 118)

Aktuell steht nun die Deflationsgefahr für Europa im Raum. Als Lösung für die Euro-Zone schlägt der japanische Ökonom vor, dass Staatsanleihen nur für eigene Staatsbürger zugänglich sein sollten, also ein Verbot des Verkaufs einheimischer Staatsanleihen an Anleger anderer Staaten, was sinnvoller wäre als die 3 Prozent-Defizitregel. „Griechische Anleihen dürften dann nur für griechische Anleger ausgegeben werden“ (S. 127), die Kapitalflucht würde unterbunden. Anmerkung: Der japanische Staat ist vorwiegend bei japanischen Gläubigern verschuldet, das macht den Unterschied zur Verschuldung etwa der USA oder der südeuropäischen Ländern aus. In Bezug auf die globale Wirtschaft meint Koo, dass die Bewältigung der Finanzkrise die leichtere Aufgabe war: „Die harte Arbeit, Millionen von Bilanzen mit wertgeminderten Aktiva im privaten Sektor wieder ins Lot zu bringen, fängt gerade erst an.“ (S. 153)

Im letzten Beitrag plädiert Jayati Goshi von der Jawaharlal Nehru Universität in Neu-Delhi für einen Aufbau von Binnenwirtschaften in den Schwellenländern bzw. den Ländern des Südens, nicht nur weil die Nachfrage aus den USA und den übrigen OECD-Ländern aufgrund der Wirtschaftsflaute nachlässt, sondern weil nur mit erhöhter Binnennachfrage stabile Wirtschaften aufzubauen seien, was eben höhere Einkommen der Menschen erfordere. Zudem fordert Goshi – und das erscheint mir sinnvoll – ein Nachdenken über die Art des Konsums, um herauszufinden, „welche Güter und Dienstleistungen für unsere Gesellschaft am sinnvollsten sind“ (S. 190). Notwendig sei eine „vorausschauende Planung“ im Sinne eines „strategischen Nachdenkens über die gesellschaftspolitischen Erfordernisse und Ziele für die Zukunft“ (ebd.), etwa im Zusammenhang mit lebenswerten Städten und umweltfreundlichen Lebensstilen.

In ihrem Manifest fordern die WirtschaftsexpertInnen globale Rahmensetzungen für das Kapital, eine faire Verteilung des Erwirtschafteten sowie eine aktive, Nachfrage stimulierende Wirtschaftspolitik der Regierungen in Krisenzeiten. Vorgeschlagen wird, „die G20 mit rotierender Mitgliedschaft zu einem wirksamen Instrument internationaler Kooperation umzubauen oder einen effektiven globalen Wirtschaftsrat zu schaffen“ (S. 204). Die Autoren reihen sich somit ein in die Phalanx jener, die davon ausgehen, dass globale Regulierung und Kooperation nicht nur nötig, sondern auch möglich ist.