Wird Demokratie ungerecht?

Ausgabe: 2007 | 4

„Die Aufgabe und Legitimation von Politik im 21. Jahrhundert – national und europäisch, global und intergenerationell – liegt im Kern darin, allen Menschen Entfaltungsmöglichkeiten zu geben, nicht aber darin, ihnen eine ganz bestimmte Entfaltungsform aufzudrängen.“ So Felix Ekardt in dieser die Gedanken seines ersten Bandes „Das Prinzip Nachhaltigkeit“ fortführenden Abhandlung zur Frage, „ob eine gerechte Gesellschaft möglich ist“. Vier Herausforderungen stellt der Autor an den Beginn: Gibt es einen Universalismus und damit universalistische Prinzipien wie Gerechtigkeit? Ist ein Globalismus im Sinne von Entfaltungschancen für alle möglich? Wie gelingt ein Individualismus ohne ökonomische oder egomanische Verengung? Schließlich: In welchem Spannungsfeld stehen Pluralismus und Freiheit? Die Entfaltung dieser Herausforderungen und die Suche nach Antworten bestimmen  die äußerst dichten, teilweise auch sprunghaft und assoziativ vorgetragenen Ausführungen, die eine Fülle an Lebensfeldern in ihren gesellschaftlichen und politischen Kontexten streifen.

 

Ekhart befürchtet, dass ökonomische Sachzwänge schleichend unsere Freiheit zerstören. Den gegenwärtigen Globalisierungsdruck beschreibt er als „formale Freiheitszunahme bei gleichzeitig wachsender ökonomischer Kolonialisierung unserer Lebenswelt“ (S. 35), zu der auch problematische Individualisierungsauswüchse der Selbstübersteigerung („Es kann nicht jeder Grafikdesigner werden“) gehörten. Offensichtlich ist für den Autor, dass der westliche Lebensstil weder dauerhaft durchhaltbar noch global ausdehnbar ist, was ebenfalls zu Gerechtigkeitsproblemen führe. Das Recht und die Politik westlicher Staaten hätten fast jedem lebenden Bürger ein „historisch einmaliges Maß an Freiheitlichkeit und Wohlstand beschert“. Das Problem dabei: „Politik, Recht und Gerechtigkeit konzentrieren sich auch heute noch fast  nur auf die Konfliktlösung zwischen den raumzeitlich Zusammenlebenden, und dies in einer vernetzten Welt, in der wegen des wirtschaftlich-technischen Entwicklungsstandes die Folgen unseres Handelns räumlich und zeitlich weit über uns hinaus weisen.“ (S. 17) Über die „doppelte Freiheitsgefährdung“ – der Menschen in den Entwicklungsländern sowie der späterer Generationen werde bislang aber vor allem nur geredet – unter dem „Label“ Nachhaltigkeit.

 

In einem weiteren Abschnitt warnt Ekhart vor den Fallen der Beliebigkeit sowie dem Rückfall in (pseudo)religiöse Muster und beharrt auf dem Prinzip der Vernunft und universaler Gerechtigkeit „jenseits von Papst und Postmoderne“. Er verteidigt Freiheit auch gegen ökonomische Verengungen, sei es in der naturalistischen Reduzierung auf physische Grundbedürfnisse, mehr noch aber in ihrer wirtschaftsliberalen egoistischen Verengung: „Freiheit muss ein Gebot enthalten, nicht die Folgen meiner Freiheit auf andere abzuschieben, also ein Junktim von Freiheit und Folgenverantwortlichkeit“ (S. 90) Zugleich bräuchten wir das Leistungsprinzip gerade als „Ausdruck der Freiheit“. Aufgabe der Politik sei es, „allen eine Entfaltungschance zu geben, damit ihre Freiheit real werden kann – es können aber keine direkt gleichen Chancen sein“ (S. 122). Als Sozialsystem favorisiert der Autor staatliche Grundsicherungsmodelle, die jeder Bürger durch private Vorsorgen und Leistungen ergänzen kann. Ekhart kommt von daher auf ein „Grundeinkommen als neue Institutionalisierung des elementaren Freiheitsvoraussetzungsschutzes“, das Arbeitslosenhilfe, Erziehungsgeld, Krankengeld, Sozialhilfe, Ausbildungsförderung und Rente ersetzen würde. Mehrfach kommt der Autor auf das Abwägungsgebot und damit die Verhältnismäßigkeit von Entscheidungen zu sprechen: Wenn man, so ein Beispiel, „das Klima für künftige Menschen schützen möchte und dafür den heutigen Autoverkehr einschränkt, schützt man die Freiheit – aber um den Preis von Freiheitsbegrenzungen in der Gegenwart.“ (S. 143)

 

In der Folge wendet sich Ekhart der Frage dauerhafter und globaler Entfaltungschancen durch einen „Weltvertrag“ zu. Da die gegenwärtige Entwicklung die Probleme nur verschärfe, seien globale Regeln nötig. Am besten würde dies eine Weltföderation gewährleisten. Dazu brauche es eine Reform internationaler Organisationen, allem voran der WTO. Ein globaler Marshall-Plan inklusive globaler Umweltsteuern sowie ein Weltmenschenrechtsgericht wären für den Autor dabei realistische Meilensteine auf dem Weg zu global koordinierter Politik. Europa könne dabei einen wichtigen Beitrag leisten: „Schon heute, ohne Weltföderation, bestimmen wir Europäer faktisch maßgeblich darüber mit, wo es in der Welt langgeht; ergo können wir auch dafür sorgen, dass es in eine bessere Richtung geht.“ (S. 191)

 

Das letzte Kapitel ist schließlich den Themen Pluralismus und Multikulturalität gewidmet. Ekhart insistiert darin nochmals auf der Freiheit von Personen und Gruppen, ihr „gutes Leben“ selbst zu finden und zu wählen. Politik müsse nur dort eingreifen, wo die Freiheit anderer bedroht werde. Am Beispiel des Kopftuchs: Jede Frau soll es tragen dürfen, aber von keiner politischen Instanz dazu gedrängt werden. H. H.

 

Ekardt, Felix: Wird Demokratie ungerecht? Politik in Zeiten der Globalisierung. München: Beck, 2007. 214 S., € 12,95 [D], 13,30 [A], sFr 23,20 ISBN 978-3-406-54799-7