Wie Reiche denken und lenken

Ausgabe: 2011 | 3

„Wie Reiche denken und lenken“, so der Titel einer aufschlussreichen Studie unter der Leitung von Ueli Mäder an der Universität Basel, in deren Mittelpunkt Interviews mit Schweizer Reichen stehen. Auch diese Studie besagt, dass es zwei Typen von Reichen gibt: jenen, die nur an der Vermehrung ihres Reichtums interessiert sind, stehen durchaus jene gegenüber, die soziale Verantwortung wahrnehmen. Erstere werden insbesondere der Gruppe der „Neureichen“ zugeordnet, die durch neue wirtschaftliche Möglichkeiten zu Vermögen gekommen sind (und dies ihren eigenen Leistungen zuschreiben). Mäzenatentum findet man (auch in der Schweiz) eher unter den „Altreichen“. Reiche haben – so die Interviews – durchwegs ein positives Selbstverständnis, welches sie durch Wohltätigkeit oder andere Formen des Sponsorings zu bestätigen versuchen. Reiche haben aber auch viel Macht, etwa durch Einfluss auf Medien, auf Wissenschaft und Forschung oder durch Netzwerke zur Politik. Ein Einfluss, der in der Selbstwahrnehmung aber offensichtlich geleugnet (oder verleugnet) wird. Bemerkenswert ist aber auch die sich durch alle Gespräche ziehende Distanz gegenüber politischer Umverteilung. Die zusammenfassende Einschätzung des Interviewteams: „Viele Reiche haben uns in ihrem Bestreben beeindruckt, eine bessere Welt mitzugestalten. Sie legen dabei großen Wert auf Freiwilligkeit. Mit kritischer Distanz zu gesellschaftlichen Verbindlichkeiten.“ (S. 398)

 

Schweizer Reiche – zumindest jene, die hier interviewt wurden – tragen ihren Reichtum, nicht gerne zur Schau. Sie schotten sich ab, üben sich in Distanziertheit, pflegen aber ihre Beziehungsnetzwerke, aus denen sich die Wirtschaftseliten rekrutieren. Das Zusammengehörigkeitsgefühl werde dabei durch ähnliche Bildungsgänge, die Ausübung gleicher Sportarten (Golf, Segeln), den Aufenthalt an bestimmten Ferienorten (wie St. Moritz, Gstaad), den Besuch von Benefizveranstaltungen, Opern oder Kunstausstellungen „wie auch durch Heirat untereinander“ (S. 400) gefestigt.

 

Reiche verfügen über enormen politischen Einfluss. Sie wehren sich – so ein weiteres Ergebnis der Studie – nicht nur erfolgreich gegen neue Vermögenssteuern, sondern sind viel mehr als weniger Begüterte in der Lage, Steuern zu vermeiden, d. h. ihr Vermögen „steuermindernd“ zu veranlagen.

 

Insgesamt bietet die Studie ein sehr umfassendes Bild der Reichen in der Schweiz: von ihrem Werdegang, den ökonomischen Hintergründen, ihrem Einfluss auf Politik, Medien und Wissenschaften, ihrer Darstellung in den Medien und – natürlich – ihrer Selbstwahrnehmung. Dass Reichtum (auch) in der Schweiz beileibe nicht nur mit Leistung zu hat, machen die aufgezeigten Interessensnetzwerke ebenso deutlich wie der Fakt, dass die Hälfte der 300 Reichsten in der Schweiz ihren Status durch Erbschaften erlangt haben (S. 11).

 

Aufschlussreich sind auch die wissenschaftstheoretischen Reflexionen über den Wandel der Soziologie, die sich – so kritisiert Mäder treffend – von Klassenanalysen und Schichtenmodellen immer mehr hin zu Lebensstilanalysen verlagert hätten, was soziale Herkunft und ökonomische Bedingungen unterbelichte. H. H.

 

 

 

 Mäder, Ueli; Aratnam, Ganga Jey; Schilliger, Sarah: Wie Reiche denken und lenken. Reichtum in der Schweiz. Geschichte, Fakten, Gespräche. Zürich: Rotpunkt, 2010. 444 S., € 26,- [D], 26,70 [A], sFr 28,-

 

ISBN 978-3-85869-4287-7