Petra Pinzler, Andreas Sentker

Wie geht es der Erde?

Ausgabe: 2020 | 1
Wie geht es der Erde?

Petra Pinzler und Andreas Sentker haben für die deutsche Wochenzeitung DIE ZEIT ein kompaktes Überblicksbuch zum Zustand der Erde herausgegeben. Mit einer Reihe von AutorInnen bearbeiten sie dabei fünf zentrale Fragen: jene nach dem Zustand der Arten, des Klimas, des Wassers, des Bodens und schließlich der Qualität der Luft. Abgerundet wird das Buch durch einen Ausblick: Wie geht es weiter? Können wir die Erde nur retten, wenn wir eine rigide Verbotspolitik umsetzen? Und was kann man als einzelne Person überhaupt bewegen?

Jedes Kapitel ist auf gleiche Weise strukturiert: Der aktuelle Wissensstand wird präsentiert; Grafiken informieren über grundlegende Zusammenhänge und Prozesse. Im Anschluss findet sich ein Streitgespräch zwischen zwei ExpertInnen, etwa einem hochrangigen Vertreter von Volkswagen und der früheren Leiterin des Umweltbundesamts. Schließlich greifen am Ende jeden Abschnitts zwei Essays das Thema aus einem bestimmten Blickwinkel auf – mancher wird diese Essays wiedererkennen, sie wurden zum Teil bereits in DIE ZEIT abgedruckt.

Gleich zu Beginn wird klar: Je besser es den Menschen geht, desto schlechter geht es der Erde. Die fünf großen ökologischen Probleme, welche das Buch behandelt, sind mit einer Reihe von Ursachen und Symptomen verbunden, die die Erde global umspannen: Etwa der Verlust an Wildnis – selbst in entfernteste Regionen dringen Hinterlassenschaften der menschlichen Zivilisation vor, meist in Form von Plastikmüll. Dazu kommt all das, was mit „Anthropozän“ in Verbindung gebracht wird: Spuren des Menschen, die Jahrtausende überdauern werden; das Artensterben, die Erderwärmung, die Luftmischung.

Blickt man auf die fünf großen ökologischen Krisen im Detail, kann man getrost das Wort „Katastrophe“ in den Mund nehmen. Etwa der Zustand der Artenvielfalt: „Allein zwischen 1970 und 2012 sind die globalen Wildtierbestände um 60 Prozent gesunken. Von den knapp 100.000 Arten, die auf der Roten Liste der Internationalen Naturschutzunion stehen, ist rund ein Viertel akut vom Aussterben bedroht.“ (S. 21) Dabei könnten sich Arten erholen, wenn entsprechende Schutzmaßnahmen umgesetzt würden. Viele der gefährdeten Arten sind uns noch völlig unbekannt; die Folgen ihres Aussterbens auf andere Arten bzw. das Ökosystem als Ganzes unbestimmbar. Die Sterbe-Geschichte von zwei Arten wird hier exemplarisch dargestellt: jene des nördlichen Breitmaulnashorns, dessen letztes männliches Exemplar 2018 starb, und das Pangolin, ein Schuppentier, dessen Populationen vor der Auslöschung steht. Im Zentrum beider Geschichten stehen jene Menschen, die verzweifelt versuchen zu retten, was zu retten ist, die aber von den Umständen – einer ignoranten Menschheit, die Gier nach Luxus und Aberglauben – schier überrollt werden.

Nicht viel besser sieht es in Sachen Klimawandel aus: Die Erde erwärmt sich, aber wir wissen nicht, wie dieser Pfad verlaufen wird, vor allem weil es unklar ist, welche Rolle Kipppunkte spielen. Eines der Grundprobleme ist die gestiegene Mobilität, die sich vor allem durch den rasch zunehmenden Flugverkehr äußert. Gleichzeitig gibt es Anzeichen dafür, dass Fliegen wohl noch schädlicher für das Klima ist als bisher angenommen. Umsteuern ist angesagt: „Solange es bequem und günstig ist zu fliegen, werden Menschen auch weiterhin ins Flugzeug steigen. Es ist wie mit der einen Zigarette oder dem einen Glas Wein: Man wird immer Argumente finden, warum dieser eine Flug schon in Ordnung ist. Man wird es machen, weil es angeboten wird.“ (S. 104) Lösungen wie Geo-Engineering sind weit davon entfernt, das Problem zu lösen, auch wenn es interessante Ansätze gibt, wie etwa das Umwandeln von CO2 in Gestein, „künstliche Bäume“, welche CO2 aus der Luft filtern oder das bewusste Heranziehen von Kieselalgen in Meeren, die CO2 binden sollen. Hier tut sich ein grundsätzlicher Konflikt auf: jener zwischen IngenieurInnen, die an technischen Lösungen arbeiten, und Öko-AktivistInnen, die auf einen grundsätzlichen Systemwandel pochen. Letztendlich wird es die Technik brauchen, um die Ziele des Pariser Abkommens erfüllen zu können, aber es wird nicht ohne Umstellung unserer Lebensweise funktionieren.

Auch was den Zustand der Meere anbelangt, vermelden Petra Pinzler und Andreas Sentker nichts Erfreuliches. In küstennahen Gebieten hat die Überlastung mit Stickstoff und Phosphat aus der Landwirtschaft Todeszonen geschaffen, die an Umfang und Anzahl stetig wachsen. Dazu kommt die industrielle Fischerei, welche die Bestände permanent reduziert, und die Plastikkrise, welche vor allem in Entwicklungsländern durch mangelhafte Entsorgung hervorgerufen wird – aber auch vom explodierenden Schiffverkehr, der Waren aus Asien in den wohlhabenden Westen bringt. Darüber hinaus finden wir in allen Habitaten Mikroplastik.

Der Boden ist vermutlich der am wenigsten beachtete Teil, wenn wir an eine ökologische Krise denken – doch sind fruchtbare Böden mit ihren Mikroorganismen stark in Mitleidenschaft gezogen. Monokulturen und Plantagen, die Kleinbauern vor allem in armen Ländern verdrängen und damit Konflikte befeuern, Erosion, Pestizideinsatz – all das zerstört Böden. Weil es oftmals Jahrhunderte dauert, bis sie wieder fruchtbar werden, könnte uns der fortschreitende Raubbau eine veritable Nahrungsmittelkrise bescheren und nebenbei eine Reihe anderer Ökosysteme zusammenbrechen lassen.

Eine gemischte Bilanz zeigen die Autorin und der Autor in Hinblick auf die Luft. Tatsächlich hat sich die Luftqualität in Deutschland bzw. in Europa seit 1990 erheblich verbessert: Schwefel- und Rußpartikel sowie Blei aus alten Fahrzeugen sind quasi verschwunden. In anderen Regionen sieht es jedoch düster aus: In Asien und Afrika tötet Luftverschmutzung zehntausende Menschen – jedes Jahr. Doch auch für unsere Breitengrade gibt es keine Entwarnung: Auch wenn die Feinstaubbelastung sinkt, trägt sie nach wie vor Verantwortung für Atemwegserkrankungen und damit assoziierte Tode. Vor allem ist unsere bessere Luft auch ein Ergebnis von Produktionsauslagerung in ärmere Länder: „Einen Teil der Luftverschmutzung hat Deutschland zudem schlicht exportiert. Bei der Kohleförderung, der Stahlindustrie oder dem Kunststoffrecycling wanderte mit der Verlagerung der Produktion in Billiglohnländer auch deren Schadstoffausstoß mit. In Wanne-Eickel atmet es sich heute besser – gehustet wird in Dhaka oder Guangdong.“ (S. 216)

Diese Krisen schaffen eine Welt voller Widersprüche: „Jedes Zu-wenig-Tun in der Gegenwart belastet die Zukunft mit Immer-mehr-tun-Müssen“, so Stefan Schmitt in seinem Ausblick (S. 268). Und doch gibt es Hoffnung: Auch wenn die Bevölkerungszahl noch immer steigt, kann dies eine große Anzahl problembewusster innovativer Menschen bedeuten. Der Klimaschutz nimmt langsam, aber sicher Fahrt auf. Es brauche beim Einzelmenschen ein neues „Maßhalten“, so der Philosoph Valentin Beck – keinen Verzicht, doch das Vermeiden von Exzessen. Dabei kann es nicht um eine Individualisierung der Verantwortung gehen, viel mehr braucht es eine Änderung der Strukturen: „Sie sollten sich darüber im Klaren sein, dass es bestimmte Probleme gibt, die Sie nicht allein verändern können, beispielsweise indem sie weniger oder umweltbewusster konsumieren. Das ist zwar lobenswert, aber für große Veränderungen braucht es auch die richtige Politik.“ (S. 275) Diese hat es in der Hand, Alternativen zum Wohl der Umwelt umzusetzen: Kreislaufwirtschaft, Schutzmaßnahmen für fragile Ökosysteme, Regulierung.

Das Buch ist ideal für umweltbewegte Personen ohne Fachhintergrund, die einen Überblick über den aktuellen Zustand der Erde suchen. Lesen sollten es jene, die bislang dem Thema nur wenig Interesse entgegenbrachten: Wir können nicht mehr so weitermachen – die Alternativen liegen auf dem Tisch.