Ralf Langejürgen

Wie Entfeindung gelingen kann

Ausgabe: 2018 | 3
Wie Entfeindung gelingen kann

Der Politikwissenschaftler Ralf Langejürgen hat ein umfassendes Werk zur Überwindung politisch-militärischer Konfliktsituationen verfasst, welches zahlreiche Beispiele von überwundenen und  nicht beendeten Auseinandersetzungen gegenüberstellt.

Langejürgen sieht als Hauptgrund für festgefahrene Konflikte eine gegenseitige destruktive „Faszination“ der AntagonistInnen (Staaten, Religionen, etc.). Folglich ist Konfliktüberwindung ein Prozess der „Entfaszination“; das Aufbrechen eines „Aufeinander-Bezogen-Seins“ (S. 22f.). Um Entfaszination nachhaltig und stabil zu halten, soll kein „inniges Miteinander“ angestrebt werden, sondern ein wesentlich realistischeres „institutionell abgesichertes Nebeneinander“ (S. 33). Der Autor stellt zahlreiche Beispiele für gelungene und gescheiterte Entfaszination vor: Seit Jahrhunderten ungelöst ist etwa der Konflikt zwischen Islam und Christentum, der mit dem Aufstieg des Islamismus eine neue Intensität erreicht hat: „Ausgerichtet an einem strikten Unvereinbarkeitsdogma wird das ‚eigene Innere‘ im ‘Modus der totalen Mitgliedschaft‘ wehrhaft nach außen gerichtet und in einen jahrhundertelangen Kampf mit den anderen ‚Wahrheiten‘ weiter verfestigt“ (S. 54). Der technologisch-militärische Vorsprung des Westens verstärkt die negative „Faszination“ der islamischen Welt zusätzlich, die sich zunehmend marginalisiert und bedroht fühlt. Jedoch zeigt die europäische Geschichte, dass festgefahrene Religionskonflikte durch Entfaszination durchaus gelöst werden können. Dies gilt vor allem für die blutigen Fehden zwischen Katholiken und Protestanten, die mit dem Westfälischen Frieden (1648) ein Ende fanden. Die Leistung von 1648 bestand darin, dass ein „deutlich gemäßigteres Verständnis religiöser Offenbarung“ forciert wurde (S. 109).

Entfaszinationsprozesse benötigen eine institutionelle Komponente

Langejürgen weist darauf hin, dass Entfaszinationsprozesse eine institutionelle Komponente brauchen. Räumliche Trennung von Konfliktparteien (durch Föderalität), „tiefe“ Demokratie (durch ein stufenweises System der Mitbestimmung) und die Einbindung von Peripherien tragen dazu bei, den Frieden dauerhaft zu sichern (S. 192f.). Ein Modell dafür sei die Schweiz, die es seit über 150 Jahren geschafft hat, erfolgreich als multinationales Gebilde zu existieren: „Die Schlüsselerkenntnis (…) ist die, dass höherwertige Entfeindung in komplexen Gruppengebilden vor allem dort am besten funktioniert, wo es auf nachhaltige Weise gelingt, die autonomen Sphären von Sprachgruppen, Ethnien, Konfessionen und regionalen Kulturen über möglichst durchlässige, freiwillige Grenzziehungen voneinander zu trennen und über verfassungsrechtlich verankerte Instrumente der Föderalität und der tiefen Demokratie wieder miteinander zu verbinden“ (S. 461f.).

Dass Entfaszination auch rückgängig gemacht werden kann – nämlich durch schwache institutionelle Absicherung, durch Radikalisierung und durch mangelnde Reflexion – zeigen die aktuellen Krisen der EU. Der Schuldenstreit mit Griechenland und der Brexit spiegeln die Fragilität des Gebildes wider, welches ohne Reformen in eine existenzielle Krise schlittern könnte.

Kritisch sei angemerkt, dass sich die Analyse der zahlreichen Beispiele zu sehr auf den Konflikt zwischen Antagonisten konzentriert und dabei Formen der Kooperation ausblendet. So ist z. B. die Beziehung zwischen Islam und Christentum über die Jahrhunderte viel mehr als ein perpetuierter Konflikt. Weniger Beispiele, dafür eine tiefere Analyse, hätten diesem Thema gutgetan.