Wie der Kapitalismus unnötig werden kann

Ausgabe: 2015 | 2

Auch das folgende, überaus komplexe und materialreiche, sich vom „linken Mainstream“ (vgl. S. 131) distanzierende Werk sucht nach Alternativen zum Kapitalismus. Abseits der ausgetretenen Pfade bisheriger Reparatur- oder Ausbesserungsbemühungen will Meinhard Creydt einen radikal anderen Weg gehen. Er orientiert sich an den praktischen Bedürfnissen einer nachhaltig gelingenden Systemtransformation und bezweifelt vehement die Alternativlosigkeit der bestehenden Verhältnisse, denn solange das kapitalistische Wirtschaften als alternativlos erscheint und seine Grundstrukturen als Sachzwänge gelten, werde die Kritik den Befürwortern keine Sorgen bereiten. Um aber Alternativen entwickeln zu können, bedürfe es eines Positivszenarios „von in Deutschland gegenwärtig ansatzweise vorfindlichen Erfahrungen, Bewusstseinsinhalten und sozialen Kräften, die zu einer Überwindung der grundlegenden Strukturen des kapitalistischen Wirtschaftssystem und zu einer von ihm substanziell unterschiedenen Vergesellschaftungsweise [beitragen können]“ (S. 11). Einen gesellschaftlichen Paradigmenwandel und eine komplette Umorientierung hält Creydt für unumgänglich, wichtig ist ihm auch, die „nachkapitalistische Gesellschaft nicht im Horizont der vermeintlich unverwirklichten Werte der bürgerlichen Gesellschaft“ zu konzipieren (vgl. S. 13).

Die hier skizzierten Lebensformen und Strukturen sind dem Thema entsprechend sehr komplex aufbereitet. Für Creydt ist nämlich die „Vereinfachung des Denkens an der Komplizierung der Welt mitschuldig“. Er geht davon aus, dass begrifflich unterkomplexe Problemaufbereitungen dazu beitragen, dass problematische gesellschaftliche Verhältnisse Verschlusssache bleiben und fühlt sich deshalb der Komplexität des Denkens verpflichtet. Dies nimmt entsprechend auch die LeserInnen in die Pflicht.

Konkret setzt sich der Autor (in Kapitel 1) ab von sozialdemokratischen Utopien der Bändigung des Kapitalismus durch den Staat, von realsozialistischen Konzepten einer staatlichen Steuerung, Selbstverwaltungsutopien, technokratischen Vorstellungen eines Computersozialismus, aber auch von marktsozialistischen Modellen.

In Kapitel 2 entwirft er das „Leitbild und die Realutopie der nachkapitalistischen Gesellschaft“. Zentrale Elemente der nachkapitalistischen Gesellschaft sind - ohne Anspruch auf Vollständigkeit - „die weitestmögliche Befreiung der Arbeit von ihren subalternen Effekten“ (S. 139), die Veränderung der Arbeitstechnologie, die Bearbeitung der mit Hierarchien verbundenen Probleme, eine Minimierung der negativen Effekte des Marktes, die Veränderung der Größe und Verflechtung des Gemeinwesens auf ein gestaltbares Maß, die Überwindung des Besitzindividualismus, die Einhegung von Vorteilsnahme zulasten anderer sowie eine Wirtschaft und Lebensweise nach Kriterien der Nachhaltigkeit.

Schließlich arbeitet Creydt mit dem Begriff „Praxis“, bei dem es darum geht, alle Tätigkeiten, Arbeiten, Gegenstände und Organisationen, Institutionen und Strukturen daraufhin zu befragen, wie sie den „sozialen Stoffwechsel aufbauen“. Das heißt, dass Menschen im Arbeiten, an den Arbeitsprodukten, an den Gegenständen ihrer Umwelt sowie in den sozialen Beziehungen und gesellschaftlichen Verhältnissen nicht nur die Bedingungen, sondern auch die Inhalte ihres Lebens bilden (vgl. S. 136ff.).

Alles in allem enthält der Band zahlreiche Argumente, die plausibel machen, dass eine Zivilisierung des Kapitalismus durch soziale Bewegungen und Regulierung durch den Staat nichts bringen, ebenso wenig wie die Zähmung des Kapitalismus, durch die „Umerziehung zum Vegetarier und die einschlägigen Diätpläne“ (S. 19f.). Alfred Auer

  Creydt, Meinhard: Wie der Kapitalismus unnötig werden kann. Münster: Westfäl. Dampfboot, 2014. 419 S.,

€ 29,90 [D], 30,80 [A] ; ISBN 978-3-89691-970-0