Wertewandel und Unternehmensstrategien

Ausgabe: 1996 | 4

Jacques Antoine, heute emeritierter Professor für Marketing und Umfeldbeobachtung, ehemaliger Chef von SOFRES und Pionier der französischen “Prospective" bei SEMA, wundert sich, daß in Zeiten wachsender Verunsicherung sich Manager so wenig um die systematische Beobachtung des sozialen, kulturellen und politischen Umfeldes ihres Unternehmens kümmern. In seiner jüngsten Veröffentlichung zeigt er Entscheidungsträgern, wie sie selbständig das humane Umfeld der Unternehmung strukturieren und beobachten können. Dabei vermeidet es Jacques Antoine in das Konzert marktschreierischer Trendmelder einzustimmen. Blumige Voraussagen und modische Trendbeschreibungen werden vermieden. Stattdessen geht es um die Identifikation von sozialen Phänomenen mit langfristigen Wirkungen wie z. B. die Bildungsexplosion, die neuen Beziehungen zwischen den Geschlechtern und vor allem um Werthaltungen. Denn Werte bestimmen durch komplexe Interaktion mit dem technischen und wirtschaftlichen Wandel wesentlich die langfristige gesellschaftliche Entwicklung. Ausgehend von den Bedingungen des Fortschritts während der „30 Glorreichen“ (1945-1975) werden Gründe und Formen der Wachablösung durch ein neues Modell gesellschaftlicher Entwicklung vor dem Hintergrund der Globalisierung analysiert. Technologie, Ökonomie, soziokulturelle Lebenswelten und Ökologie werden nach der Methode der strukturellen Analyse miteinander in Beziehung gesetzt und geben Auskunft über Tiefenströmungen, Zukunftspotentiale, mögliche Trendbrüche und Trendwenden. Nach einer kurzen Darlegung ihrer jüngsten Geschichte werden Zukunftshypothesen der Werteentwicklung vorgelegt. Die Originalität Jacques Antoines Behandlung gesellschaftlicher Werte angesichts von Unsicherheiten der Zukunftsforschung besteht darin, daß er sie uns als System von antagonistischen Paaren vorstellt. Deshalb sollten Trendsysteme verschiedene Logiken berücksichtigen, die von der Koexistenz über Abstufungen bis zum gegenseitigen Ausschluß reichen und für folgende Polaritäten exemplarisch aufgezeigt werden: Permanenz-Veränderung, Gefühl-Verstand, Wissenschaft-Glaube, Lebensstandard-Lebensqualität, Konkurrenz-Kooperation, Risiko-Sicherheit, Hedonismus-Moral, Freiheit-Gleichheit, Uniformierung-Personalisierung, Komplexität-Vereinfachung. Gesellschaftliche Werte sind wie individuelle Grundbedürfnisse und Motivationen für Jacques Antoine jenseits von soziokulturellen Trends, Einstellungen und öffentlicher bzw. persönlicher Meinung angesiedelt, obwohl diese drei Ebenen natürlich miteinander kommunizieren. In seiner Vorausschau für die nächsten zwei Jahrzehnte werden Elemente der gesellschaftlichen Dynamik mit den Wertepolaritäten in Beziehung gesetzt. Es dominieren bei den gegenständlichen Werten Individuum, Familie, Arbeit und Natur und bei den Kriterien-Werten Sicherheit, Freiheit und Personalisierung, Solidarität und Universalismus, weibliche Werte. In der Kategorie der instrumentalen Werte läuft die "Zeit" nach und nach dem "Geld" den Rang ab. Stellenwert und Implikationen von Werten für Unternehmen, Konsumenten, Arbeitnehmer und Staatsbürger werden abschließend untersucht. Auf Anfrage namhafter deutscher Wissenschaftler und Publizisten sucht Prof. Jacques Antoine gemeinsam mit seinem französischen Verleger Presses Universitaires Francaises (PUF) nach einem deutschen Verlag, der Interesse an einer Übersetzung hat. M. E. 

Antoine, Jacques: Wertewandel und Unternehmensstrategien. Paris: Presses' Univ. Francaises, 1996. 233 S. (Valeurs de societe et stretegie des entreprises)