Wem gehört die Welt?

Ausgabe: 2017 | 2
Wem gehört die Welt?

Hans-Jürgen Jakobs, renommierter Wirtschaftsjournalist aus Deutschland und bis 2015 Chefredakteur des „Handelsblatts“, hat mit einem 50-köpfigen internationalen Redaktionsteam in akribischer Recherche zusammengetragen, wem die weltweiten Vermögen gehören, wie sie veranlagt und wo sie investiert werden. „Wer Aufklärung über den Kapitalismus der neuen Zeit will, muss nach dem Eigentum fragen“, meint Jakobs in der Einleitung. Denn: „Am Ende hat Macht, wer über Geld disponiert.“ (S. 14) Die 200 vorgestellten Akteure der Finanzbranche, die Chefs der größten Vermögensverwalter, Pensionskassen, Staatsfonds, Private Equity-Unternehmen, Hedge-Fonds, Banken und Versicherungen sowie Privatanleger verwalten zusammen mehr als 40 Billionen Dollar – dass sind 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts der Welt oder fast das Dreifache des BIP der EU. Jakobs lässt keinen Zweifel daran, dass die Manager der Finanzbranche – der Autor nennt sie die „neuen Kapitalisten“ – mittlerweile das Weltwirtschaftsgeschehen dominieren und, wenn auch diskret, die politischen Spielregeln bestimmen. Banken sind dabei nur mehr einer unter vielen Akteuren – Vermögensverwalter wie Larry Fink von Blackrock mit einer Jahresgage von zuletzt 28,6 Millionen Dollar, Hedge-Fonds oder Private Equity-Firmen, die sich auf Unternehmensbeteiligungen spezialisiert haben, spielen ebenso eine wichtige Rolle wie chinesische oder arabische Staatsfonds. Beurteilt werden die Akteure nach fünf Kriterien – Nachhaltigkeit, Unbestechlichkeit, Steuerehrlichkeit, Humanität und Transparenz. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, etwa einigen Pensionsfonds oder dem norwegischen Staatsfonds, fallen die Beurteilungen freilich nicht besonders gut aus.

Wohin geht das Geld?

Nicht weniger aufschlussreich sind die im zweiten Teil vorgestellten Konzerne und deren Finanzverflechtungen (viele Unternehmen machen ja mittlerweile nicht mehr nur mit ihren Produkten, sondern ebenfalls mit Finanzgeschäften Profit). Deutlich wird auch, womit im modernen Kapitalismus das meiste Geld verdient werden kann: Automobile, Chemie & Pharma, Freizeit & Entertainment stehen an der Spitze. Großhandelsketten und Rohstoffe-Konzerne zählen ebenso zu den Großverdienern wie die Multis der Lebens- und Genussmittelindustrie. Und in einer globalisierten Wirtschaft schneidet selbstverständlich auch die Transport- und Logistikbranche mit am Weltprofit-Kuchen. In den Firmenporträts fehlen freilich auch deren Steuerstrategien nicht. Die steuerschonende Platzierung der Firmensitze ist ja mittlerweile zur Genüge bekannt. So ist - um ein Beispiel zu nennen - Fiat längst kein italienisches Unternehmen mehr; die Zentrale wurde in die Niederlande verlegt, weil dort weniger Steuern anfallen.

Was sind die zentralen Forderungen des Autors? Universell seien zwar die propagierten Menschenrechte, wirklich globalisiert habe sich aber der Kapitalismus. Jakobs pointiert: „Die Kapitalisten der Welt verbrüdern sich.“ Sie kennen keine Hautfarbe oder Nationalität, „sondern nur Renditen und einen hohen Return on Investment“ (S. 596). Das zeigt auch eine Weltkarte der Dollarmilliardäre: Die meisten davon, nämlich 540, leben immer noch in den USA, 251 sind es aber mittlerweile in China, 84 in Indien und 77 in Russland. Deutschland kommt auf stolze 120. Ein weiterer markanter Befund:  Gab es 2000 470 Menschen mit einem Vermögen von mehr als 1 Milliarde Dollar, so waren es 2016 bereits 1.810, also viermal so viel (S. 604f).

Dieser neue „Weltkapitalismus“ mache den Bürgern zusehends Angst, eine Renationalisierung der Politik könne die Folge sein, befürchtet Jakobs. Sprengkraft hat für ihn auch die enorme Ausweitung des Finanzsektors: während das Welt-BIP von 23 Billionen Dollar im Jahr 1990 lediglich auf 73 Billionen Dollar gestiegen ist (Verdreifachung), hat sich das Weltfinanzvermögen in dieser Zeit von 56 auf 267 Billionen Dollar mehr als verfünffacht. Allein den neuen Vermögensverwaltern stehen weltweit 74 Billionen Dollar zur Verfügung, was so viel wie die gesamte Produktion von Waren und Dienstleistungen auf der Welt ausmacht (S. 602). Neue Crashs sind für den Autor keineswegs auszuschließen, wenn es nicht gelingt, den Finanzsektor einzudämmen. Zu befürchten seien auch neue Wirtschaftskriege, ein „ökonomischer Clash of Cultures“ (S. 607), für den der VW-Skandal nur ein Vorgeschmack sei. Wie andere auch sieht Jakobs ein großes Problem in der zunehmenden Verschuldung, dem Pendant der steigenden Vermögen: „Um diese Schulden zu bedienen, werden immer neue Finanzprodukte kreiert.“ (S. 612) Das habe den Finanzsektor in den USA so anschwellen lassen, „dass 25 Prozent der amerikanischen Firmengewinne dort entstehen, aber nur vier Prozent aller Jobs“ (ebd.). Das Überangebot an Geld dränge auf zunehmend gesättigte Gütermärkte, was die Finanzspekulation weiter antreibe. Die größte Gefahr sieht Jakos in der Zunahme der Schattenbanken, denn 60 Prozent der weltweiten Kredite laufen mittlerweile außerhalb des offiziellen Bankensystems (S. 629).

Wirtschaft müsse wieder vom Kopf auf die Füße gestellt werden: „Denn wenn es Investoren nur um die Vermehrung des Vermögens geht, dann wird der Unternehmenszweck zum Mittel, dieses Ziel zu erreichen“ (S. 643) Abschließend plädiert Jakobs für eine „neue Kultur der Bescheidenheit“, die derzeitigen Renditeerwartungen zeugten von einer „erhöhten Betriebstemperatur“ des Systems; zu dem erinnert er daran, dass die bestehende Ungleichheit nicht gottgegeben, sondern politisch veränderbar sei; notwendig sei schließlich ein „großes öffentliches Transparenzregister“, das anzeigt, welcher Konzern an welchen Plätzen Tochtergesellschaften mit Einnahmen hat (S. 671), sowie eine weltweite Datenbank über Finanzkonten. Für all dies sei eine starke politische Internationale nötig: „Die Antwort der Menschen muss eine Politik sein, die den neuen Weltverhältnissen gilt und die nicht den Rückzug ins eigene Land oder ins private Idyll preist.“  (S. 677) Dem ist wohl zuzustimmen! Hans Holzinger

Bei Amazon kaufenJakobs, Hans-Jürgen: Wem gehört die Welt? Die Machtverhältnisse im globalen Kapitalismus. München: Knaus, 2016. 679 S., € 36,- [D], 37,10 [A] ISBN 978-3-8135-0736-2