Rainer Mausfeld

Warum schweigen die Lämmer?

Ausgabe: 2019 | 3
Warum schweigen die Lämmer?

Rainer Mausfeld ist Experte für Wahrnehmungs- und Kognitionsforschung. In seinem Buch „Warum schweigen die Lämmer?“ geht es nicht um Tierschutz, sondern um Techniken, „durch die sich das Bewusstsein der Machtunterworfenen in geeigneter Weise manipulieren lässt“ (S. 17). Die zentrale These des Autors: Wir leben in einer Fassadendemokratie, dürfen alle paar Jahre wählen und uns über Skandale empören, doch tatsächliche Machtfragen bleiben ausgespart. „In einer Elitendemokratie gibt es zwar formale demokratische Elemente, doch sind sie strukturell auf ein Minimum reduziert.“ (S. 16) Die demokratische Rhetorik verhindere somit, dass es zu Aufständen kommt. Zudem hätten wir problematische Zustände „lediglich an andere Orte der Welt outgesourct“ (S. 11). „Das innerpsychische Spannungsverhältnis zwischen der durch Partikularinteressen bestimmten persönlichen Perspektive und einer im Sinne der Aufklärung universalisierbaren überpersönlichen Perspektive gemeinsamer sozialer und ökologischer Interessen“ sei jedoch zentral für eine andere Weltentwicklung (S. 19). Ziel müsse sein, die „systemisch erzeugte Entpolitisierung der Bevölkerung zu überwinden“ (S. 20).

Diverse Aspekte der Verschleierung von Macht

In neun Kapiteln widmet sich Mausfeld diversen Aspekten der Verschleierung von Macht: dem Verschweigen bzw. Schönreden von Kriegsverbrechen und Verletzungen moralischer Normen (S. 23ff.), dem „Demokratiemanagement durch Soft-Power-Techniken“ (57ff.), der neoliberalen Indoktrination (S. 155ff.) sowie jener durch die Medien (S. 153ff.), der „Einschränkung des öffentlichen Debattenraums und der Ächtung von Dissens“ (S. 173ff.) sowie dem „Phantom Mitte“ mit „Kartellparteien“, die nicht den BürgerInnen, sondern den Interessen relevanter Machtgruppierungen verpflichtet seien, wie etwa die Formulierung „Notwendigkeiten des Marktes“ suggeriere (S. 236ff.). Das letzte Kapitel beschreibt Beiträge der Psychologie zu immer feineren Foltermethoden.

Viele Aspekte behandelt Mausfeld in seinen auf Vorträgen basierenden Ausführungen. Nur einige können hier erwähnt werden. Dass wenig gebildete Menschen mit Angst geködert und verführt werden, ist bekannt. Dass Gebildete sich durch ihre Informiertheit als engagiert wähnen, jedoch damit nichts zur Veränderung beitragen, sollte uns zu denken geben. Als „Techniken der Mentalvergiftung“ (S. 72) bezeichnet Mausfeld daher nicht nur die systematische Erzeugung von Angst und Hass, sondern auch die „Zerstreuung durch eine mediale Überflutung mit Nichtigkeiten, Konsumismus, Ausbildung von ‚Falsch-Identitäten‘ oder Infantilisierung“ (S. 73). Auch Denunziationsbegriffe wie „Antiamerikanismus“, „Verschwörungstheorie“ oder – das ist brisant –„Querfront“ (Infizierung radikaler Kapitalismuskritik mit rechtem Gedankengut, S. 42f.), gutmeinende NGOs, die „die Aufmerksamkeit von den eigentlichen Wurzeln gesellschaftlicher oder sozialer Probleme ablenken und auf geeignete Scheinziele der Symptombewältigung lenken“ (S. 88) sowie die Reduzierung von Demokratie auf ein Repräsentativsystem nennt der Autor als Barrieren für wirksame Veränderung. Dazu komme die Ideologie des Neoliberalismus, „welche die bewussten Entscheidungen der Eliten als bloße Konsequenzen rationaler Naturgesetzlichkeiten“ (S. 99) darstelle und Großkonzerne mit Rechten ausstatte, die sie jeder Rechenschaftspflicht entziehen. Mausfeld spricht von einer „systematischen Verrechtlichung der organisierten Kriminalität der besitzenden Klasse“ (ebd.).

Auswege aus der Krise

Wo sieht der Autor Auswege? Er beruft sich auf die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte der französischen Nationalversammlung von 1789, die von der naturrechtlichen Gleichheit aller Menschen ausgeht. Im Kern der Aufklärung stehe der mündige Bürger, der aus den Fesseln seiner Vorurteile befreit werde. Mausfeld spricht von einem „humanitären Universalismus“ (S. 104), der Menschen als autonome Wesen wahrnimmt. Dies erfordere eine radikale Demokratie, das Recht auf politische Selbstbestimmung und „umfassende demokratische Mitwirkung an allen relevanten gesellschaftlichen Aspekten“ (S. 105). Die Wirtschaft dürfe daher nicht von demokratischer Legitimation und Kontrolle ausgeklammert werden.

Mausfeld liefert kein Patentrezept, er weist auf Fallen der praktizierten repräsentativen Demokratie sowie der öffentlichen Debatten und Diskurse hin. Offen bleibt, wie eine partizipatorische Demokratie konkret aussehen sollte und welche Wirtschaftsstrukturen, die wohl stark dezentralisiert sein müssten, diese erforderte. So bleibt als Erkenntnis, einen klaren Kopf zu behalten, Machtstrukturen zu hinterfragen – ebenso die Rolle der Medien – und sich alternative Informationsquellen zu suchen. Dazu zählt dieses Buch auf alle Fälle.