Eva Illouz

Warum Liebe endet

Ausgabe: 2019 | 2
Warum Liebe endet

Eva Illouz versucht, die Liebe in modernen Zeiten zu verstehen. Seit 20 Jahren forscht sie zu den Veränderungen des Gefühls- und Liebeslebens, die durch unsere Art zu arbeiten und zu wirtschaften sowie durch die Kultur der Moderne ausgelöst werden. „Gefährdet die Freiheit die Möglichkeit, substantielle und feste Beziehungen einzugehen, insbesondere romantische?“ (S. 16), fragt Illouz.

Der britische Soziologe Anthony Giddens hält die Freiheit der Moderne für keine Gefahr. Er meint, dass die Individuen die Ressourcen besäßen, gleichzeitig autonom und intim zu sein. Der Preis sei lediglich die ontologische Unsicherheit. Freie Menschen seien in der Moderne in der Lage über Verträge enge Beziehungen einzugehen. Illouz bezieht eine andere Position. „Intimität ist heute nicht mehr – falls sie es je war – ein Prozess zweier sich völlig bewusster Subjekte, die einen Vertrag eingehen, dessen Bedingungen beide kennen und akzeptieren. Vielmehr ist schon die bloße Möglichkeit, einen solchen Vertrag aufzusetzen, seine Bedingungen zu kennen und sich auf die Prozeduren seiner Erfüllung zu einigen, bedrückend ungreifbar geworden.“ (S. 21) Die Institutionalisierung der sexuellen Freiheit mittels Konsumkultur und Technologie habe das unterlaufen: Sie habe jede Gewissheit über die Substanz, den Rahmen und das Ziel sexueller und emotionaler Verträge grundlegend erschüttert. Im Buch zitiert Illouz eine Unzahl von Menschen, die über ihre Erfahrungen in Sachen Liebe und Sexualität berichten. Die Gefühle hätten sich zu einer Ebene des sozialen Erlebens entwickelt, die Probleme mache, zu einem Bereich, in dem Verwirrung, Unsicherheit und sogar Chaos herrsche. (vgl. S. 22)

Sie kommt daher zu dem Schluss, dass heute die AkteurInnen nicht wissen, wie sie die Beziehung definieren, bewerten oder führen sollen, die sie nach vorhersehbaren und tragfähigen sozialen Drehbüchern beginnen. Die sexuelle und emotionale Freiheit habe die bloße Möglichkeit, die Bedingungen eines Vertrages zu definieren, zu einer offenen Frage und zu einem Problem gemacht, das gleichermaßen psychologischer wie soziologischer Natur sei. (vgl. S. 21)

Unter der Ägide der sexuellen Freiheit hätten heterosexuelle Beziehungen die Form eines Marktes angenommen – als unmittelbares Aufeinandertreffen eines emotionalen und sexuellen Angebotes mit einer emotionalen und sexuellen Nachfrage. Sexuelle Begegnungen, die als Markt organisiert seien, würden gleichermaßen unter dem Vorzeichen der Wahl und der Ungewissheit erlebt. Die Verbindung von sexueller Freiheit, Konsumkultur, Technologie und männlicher Vorherrschaft im sexuellen Bereich untergrabe die Möglichkeit, einen Vertrag einzugehen und zu gestalten. Eine buchstäbliche Lieblosigkeit sei das Signum einer neuen Form der Subjektivität, bei der die Wahl sowohl positiv – dadurch, etwas zu wünschen, zu begehren – als auch negativ ausgeübt wird: indem man sich selbst durch die wiederholte Vermeidung oder Ablehnung von Beziehungen definiere, weil man zu verwirrt oder zwiespältig sei, um zu begehren; weil man so viele Erfahrungen sammeln möchte, dass die Wahl ihre emotionale und kognitive Bedeutung verliere; weil man reihenweise Beziehungen beende und zerstöre, um so das Selbst und seine Autonomie zu behaupten. Lieb- oder vielleicht besser Liebeslosigkeit sei also gleichzeitig eine Form von Subjektivität – auf der Ebene, wer wir sind und wie wir uns verhalten – und ein gesellschaftlicher Prozess, in dem sich der tiefe Einfluss des Kapitalismus auf die sozialen Beziehungen spiegle. (vgl. S. 35)

Die andere Seite sei die Entwicklung der Sexualität: Hier verfügten die AkteurInnen über eine wahre Fülle an technologischen Mitteln, kulturellen Drehbüchern und Bildern, um ihr Verhalten zu steuern, Gefallen an einer Interaktion zu finden und die Grenzen dieser Interaktion festzulegen. (vgl. S. 22) Um die Liebe allerdings muss man sich Sorgen machen.