Waren und Werte

Ausgabe: 2014 | 1

Einen wichtigen Beitrag zur Debatte über die Stärken und Grenzen von Märkten und insbesondere über Märkte, die für Menschen und Gesellschaften schädlich sind, also eine „rote Linie“ überschreiten, liefert Debra Satz in ihrer Abhandlung „Waren und Werte“. In Fortführung von Ansätzen der frühen Politischen Ökonomie etwa bei Adam Smith, Karl Marx oder T. H. Marshall zeigt die an der Standford University lehrende Philosophin auf, dass Märkte in der Regel nicht frei von Macht- und Herrschaftsverhältnissen sind und dass Effizienz nicht das einzige Kriterium sein dürfe, um über Märkte zu urteilen. So hätten etwa die „Märkte für Gesundheit, Bildung, Arbeit und politischen Einfluss in der heutigen amerikanischen Gesellschaft allesamt erhebliche Auswirkungen auf die Struktur der zwischenmenschlichen Beziehungen – anders als der Markt für Äpfel“ (S. 18). Diese Feststellung gilt freilich nicht nur für die amerikanische Gesellschaft.

Satz geht dabei über die sogenannten „Egalitaristen“ hinaus, die auf die Effizienz der Märkte setzen, sofern eine Fairness bezüglich Ressourcenverteilung gewährleistet sei. Der „Steuer- und Transferegalitarismus“ achte zu wenig auf die zwischenmenschlichen und politischen Folgen bestimmter Märkte. Bildung, Gesundheit oder auch der Zugang zu Wählerstimmen (bzw. Redemöglichkeit) dürften nicht ökonomischen Effizienzkriterien überlassen werden.

Beurteilung von Märkten

Die Autorin arbeitet vier Kriterien heraus, die ihrer Meinung nach für die Beurteilung von Märkten relevant sind bzw. die bestimmen lassen, wann Märkte „toxisch“ werden. Als erstes Kriterium nennt Satz Verwundbarkeit, also Situationen, „in denen Menschen so arm oder verzweifelt sind, dass sie einen Tausch zu allen Bedingungen akzeptieren müssen“ (S. 17) –  etwa eine Arbeitsvereinbarung unter Ausbeutung der Person oder einen Schuldvertrag zu völlig unakzeptablen Konditionen. Das zweite Kriterium bezieht sich auf eingeschränkte Handlungsfähigkeit, also wenn einige der Beteiligten nur wenig über die Güter ihres Tauschgeschäftes wissen. Die beiden weiteren von Satz ausgeführten Parameter zur Beurteilung von Märkten beziehen sich auf deren Ergebnisse. Abzulehnen seien demnach Märkte, die „extrem schädliche Resultate für den Einzelnen oder für die Gesellschaft“ zur Folge haben. Kinderarbeit könne ökonomisch effizient und vielleicht auch sozial erforderlich sein, sie sei für die betroffenen Kinder jedoch in jedem Fall extrem einschränkend. Zudem gäbe es Märkte, die nicht nur Einzelne stark benachteiligen, sondern auch negativ auf die Gesellschaft insgesamt wirken, etwa weil sie Verhältnisse demütigender Unterordnung oder willkürlicher Macht fördern und damit auch die Demokratie gefährden.

Toxische Märkte

Im zweiten Teil des Bandes illustriert die Autorin ihre „Theorie toxischer Märkte“ an konkreten Beispielen: den Märkten für weibliche Reproduktion, Prostitution, Kinderarbeit, Schuldknechtschaft sowie menschliche Organe. Dabei sind durchaus unorthodoxe Argumentationsweisen zu lesen. So lehnt Debra Satz Vertragsschwangerschaften nicht deshalb ab, weil das Austragen eines Kindes nicht mit anderen „Arbeiten“ vergleichbar sei („Asymmetriethese“), sondern weil die austragende Frau in die Abhängigkeit der sie beauftragenden Eltern gelange. So müsste die Frau um selbstbestimmt zu bleiben etwa frei entscheiden können, wenn sie das Kind doch selber aufziehen möchte (was der Vertrag freilich verbietet, so wie dieser auch vorschreibt, dass das Kind abzutreiben ist, falls die Wunscheltern das möchten). Die Prostitution kritisiert die Autorin nicht, weil Sex gegen Bezahlung verwerflich sei, sondern weil sie Frauen erniedrige und häufig unter ausbeutenden Bedingungen sowie aus der ökonomischen Not der betroffenen Frauen heraus erfolge (was auch in der Regel den Unterschied zur männlichen Prostitution ausmache). Für Regionen wie Europa oder die USA, wo das Verbot sexuellen Missbrauchs durchsetzbar sei, plädiert Satz jedoch für eine Entkriminalisierung der Prostitution.

Die Philosophin fordert durchaus auch Verbote, sogenannte „rote Zonen“, macht aber auch deutlich, dass diese nicht immer das gewünschte Ziel erreichen. Kinderarbeit sei abzulehnen, jedoch dann vorzuziehen, wenn beispielsweise bei deren Verbot die Gefahr der Kinderprostitution drohe. Als die „Schutzlosigkeit der Verwundbarsten“ ausnutzend lehnt Satz auch Schuldknechtsvereinbarungen ab, die in den westlichen Demokratien verboten, in ärmeren Ländern jedoch nach wie vor weit verbreitet sind. Es sei Aufgabe des Staates, Menschen aus der Zwangslage zu befreien, sich einem anderen aus wirtschaftlichen Gründen ausliefern zu müssen. Arbeitsverträge würden zwar Pflichten der ArbeitnehmerInnen festlegen, können jedoch nie zur Ausführung von Tätigkeiten zwingen und seien hiermit der wesentliche Unterschied zu Schuldknechtschaften, argumentiert Satz überzeugend. Im letzten Beispiel führt die Autorin ihre Ablehnung eines Marktes für menschliche Organe aus. Dieser öffne ebenfalls der Ausnutzung von ökonomischen Zwangslagen Tür und Tor, was der bisherige (illegale) Organmarkt ja bereits zeigt. Zudem sieht die Autorin die Freiwilligkeit des Spendens von Organen – analog dem Blutspenden – einer Marktfreigabe überlegen, da hier altruistische Motive offensichtlich stärker wirkten als rein ökonomische Überlegungen.

Resümee: In der Ökologie wird über den notwendigen Schutz der Gemeingüter diskutiert, die dem Zugriff der Märkte entzogen werden müssten. In den Wirtschaftswissenschaften stehen derzeit jene Fragen im Vordergrund, die die ökonomischen Strukturen gegenüber den Krisen des globalisierten Kapitalismus resistent machen – dass die Antworten dazu unterschiedlich ausfallen, haben wir in diesem Kapitel gesehen. Aus sozialen wie demokratiepolitischen Überlegungen erlangen auch ethische Überlegungen, welche Bereiche überhaupt nicht den Märkten überlassen werden sollten, zunehmend Beachtung. Dies zeigen die beiden letzten vorgestellten Bände eindrücklich.        

Hans Holzinger

Satz, Debra: Von Waren und Werten. Die Macht der Märkte und warum manche Dinge nicht zum Verkauf stehen sollten. Hamburg: Hamburger Ed., 2013. 318 S., € 32,- [D], 32,90 [A], sFr 44,- ISBN 978-3-86854-262-2