Von der Risikogesellschaft zur Chancengesellschaft

Ausgabe: 2001 | 2

Im Herbst 1999 veröffentlichte die „Zukunftskommission Gesellschaft“ von Baden-Württemberg, in der VertreterInnen aus Wissenschaft, Wirtschaft, Institutionen und Medien vertreten waren, ihre Vorschläge zur Bildungs- und Sozialpolitik des Bundeslandes (Nachzulesen ist der Bericht unter: www.baden-wuerttemberg.de/zukunftskommission .) In den vorliegenden dreißig (!) Beiträgen werden die Ergebnisse eines Kongresses, der im März 2000 in Mannheim anlässlich des Berichts der Zukunftskommission stattgefunden hat, dokumentiert.

Die erörterten Themen reichen von „Sinnfragen in der modernen Gesellschaft“ über „Wissen und Kultur als Faktoren des gesellschaftlichen Fortschritts“ sowie Formen des bürgerschaftlichen Engagements bis hin zu Auswirkungen der Globalisierung auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt.

Die Beiträge sind von unterschiedlicher Qualität und teilweise eher bunt aneinander gereiht. Mehr als die klingenden Namen wie Norbert Bolz beeindrucken jene Ausführungen, die an der politischen Realität bzw. der Lebensrealität der Menschen ansetzen. So sind im Kapitel zur „Lage der Jugend und dem Verhältnis der Generationen“ sehr brauchbare Ansätze zu finden. Vorgeschlagen werden u.a. Kinderbetreuungsgutscheine, die die Vereinbarkeit von Elternschaft und Beruf erleichtern sollen, die Abschaffung des Kinderfreibetrags, der v.a. höhere Einkommensschichten begünstigt, Ganztagsschulmodelle, in denen „auf praktische Lebensbewältigung orientierte Lebens- und Lernprogramme“ angeboten werden, oder Modelle neuer Patenschaften Erwachsener für Jugendliche in schwierigen Lebenslagen (civil advocacies).

Der Soziologe F. Xaver Kaufmann spricht von „Erfahrungen des Gelingens und der mitmenschlichen Anerkennung“ (S. 113), die Jugendlichen ermöglicht werden müssen, und betont, dass es in einer Zeit des „Übermaßes des Angebotenen“ insbesondere um die Ausbildung der „Fähigkeit zum Auswählen“ gehe: „Wer nicht lernt, mit seinen Ressourcen an Zeit, Energie und Geld bewusst und zielgerichtet umzugehen, wird unter den gesellschaftlichen Bedingungen keinen Erfolg haben.“ (S. 109) Die Erziehungswissenschaftlerin und CDU-Politikerin Anette Schavan fordert „Räume der Einübung“ für Selbstständigkeit und soziale Verantwortung. Außerschulische „Prüfungsämter“ sollten jungen Menschen, aber auch Erwachsenen die Möglichkeit geben, sich Fähigkeiten und Kenntnisse zertifizieren zu lassen, die sie außerhalb der Schule erworben haben. Der Politologe Bernd Guggenberger plädiert für den Ausbau von Jugendgemeinschaftsdiensten analog dem Freiwilligen Sozialen und Ökologischen Jahr, für die es derzeit viel mehr Bewerber als Plätze gäbe. Er verweist auf den „Ernstfall Freizeit“, der nach sinnvoller Gestaltung verlange. (Von den rund 650000 Stunden, die ein Mensch in Deutschland derzeit lebt, werden nur mehr weniger als ein Zehntel, nämlich 55000 Stunden, mit Erwerbsarbeit verbracht.“

Reichtum nicht nur am Bruttosozialprodukt, Dax oder Besitz zu messen, sondern auch am sozialen Zusammenhalt, fordert schließlich der Herausgeber und mittlerweile wieder gewählte Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Erwin Teufel. Er hat offensichtlich erkannt, dass ein weiteres Anwachsen der gegenwärtigen Arbeits- und Konsumgesellschaft nicht möglich, aber auch nicht notwendig ist, um Lebensqualität zu erhalten. H. H.

Von der Risikogesellschaft zur Chancengesellschaft. Hrsg. v. Erwin Teufel. Frankfurt/M.: Suhrkamp, 2001. 303 S., DM 23,90 / sFr 22,50 / öS 174,-