VielfachKrise im finanzmarktdominierten Kapitalismus

Ausgabe: 2011 | 2

von der Vielfachkrise zu zukunftsfähigen Alternativen

 

Den zweifelhaften Reden vom wirtschaftlichen Aufschwung bzw. der Leugnung umfassender gesellschaftlicher Krisenprozesse muss vehement widersprochen werden. Vielmehr geht es in der aktuellen multiplen Krise von Wirtschaft und Finanz, von Ernährung, Klima und Energie, von politischer Repräsentation und Willensbildung darum, angemessene, emanzipatorische Alternativen im Sinne politischer Steuerung bzw. Komplexitätsbewältigung zu finden. Wie solche Strategien aussehen könnten, hat sich Alfred Auer anhand aktueller Publikationen angesehen.

 

Vielfachkrise

 

Wer hört nicht gern die frohen Botschaften vom Ende der Wirtschafts- und Finanzkrise. Die Wirtschaft wächst dank Exporten und Niedriglöhnen, in Deutschland erwartet das Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW) für 2011 einen Anstieg des realen Bruttoinlandsproduktes (BIP) um gut 3,5 Prozent. Aber keines der gesellschaftlichen Probleme, „welche die tiefste Wirtschaftskrise seit 1929 angezeigt hat“, wurde seit dem Ausbruch der Krise 2007 gelöst. Und Erhard Eppler merkt zu Recht an, dass es auch keine Spur von Bescheidenheit der Gescheiterten gibt, „vom Eingeständnis eines fatalen Irrtums oder gar vom schlechten Gewissen gegenüber denen, die nun als Steuerzahler oder als Arbeitslose die Suppe auszulöffeln haben“, die die Akteure der Finanz- und Wirtschaftskrise versalzen haben (Vorwort, S. 9).

 

Nach wie vor verfolgen Aktionäre und ihre Vasallen horrend hohe Gewinne. „Ihre Profite werden durch eine Verschuldung der öffentlichen Haushalte gesichert.“ (S. 7). Zudem bringt das Krisenmanagement neue Krisen mit sich, die Bankenrettung ist die Ursache für die aktuelle Schuldenkrise in der EU, die neoliberale Sparpolitik verschärft die soziale Krise und im Süden verstärkt sich die Ernährungs- und Klimakrise. Die aktuellen Entwicklungen in Nordafrika sind wohl auch Teil der ungelösten Krisendynamik des westlichen neoliberalen Kapitalismus, meinen die Autoren des in Kooperation mit dem Wissenschaftlichen Beirat von Attac publizierten Sammelbandes.

 

Die Beiträge versuchen, die gegenwärtigen Widersprüche und Krisenprozesse sichtbar zu machen. Da gilt es zum einen, die Aktualität des Begriffs der Krise zu klären und zum anderen den Blickwinkel auszuweiten auf andere gesellschaftliche Krisenfelder. Nicht zuletzt geht es darum, die Zusammenhänge der verschiedenen Krisendynamiken zu analysieren und v. a. „ein objektivistisches Krisenverständnis“ zurückzuweisen, um so den Blick freizulegen für ein Verständnis, dass Krisen immer die konkreten Lebenszusammenhänge von Menschen betreffen: „In die Krise geraten immer konkrete soziale Verhältnisse, also relativ regelmäßige Praktiken sozialer Kollektive und Individuen.“ (S. 11) Schließlich sehen die Herausgeber die gegenwärtige Krisenkonstellation „als eine Zuspitzung von Widersprüchen der globalen Entwicklung des neoliberalen Kapitalismus“ (S. 13). In ihrem Beitrag sprechen sie davon, dass die gegenwärtige Situation auch als Ergebnis der Stagnationskrise in den 1970er-Jahren gesehen werden kann. Damals wurde in Form von Lohnsenkungen und mit einem Abbau des Sozialstaates reagiert und daraus resultierte wiederum langfristig eine Nachfrageschwäche, welche durch eine enorme Ausweitung der Kredite und eine steigende Verschuldung der Privathaushalte kompensiert wurde.

 

In ihrem umfassenden Krisenverständnis erinnern die Herausgeber daran, dass in Zeiten der „Postdemokratie“ als Ausdruck der Krise der parlamentarischen Demokratie (siehe ) die Institutionen und Verfahren formell weitgehend bestehen bleiben, die tatsächlichen Entscheidungsprozesse aber entdemokratisiert werden. Tatsache ist heute, dass die wesentlichen Krisenursachen fortgeschrieben werden „das Shareholder Modell der Inwertsetzung von Unternehmen, die Abhängigkeit der Akkumulation von massiver privater und staatlicher Verschuldung, die Ausdehnung des Kredits und die Aufblähung der Finanzmärkte bleiben ebenso bestehen wie Überkapazitäten und Nachfrageschwäche“ (S. 24).

 

Weitere Themen des Bandes beziehen sich auf die „Sozial-ökologische Krise und imperiale Lebensweise“, auf die „Krise der Ernährermännlichkeit“, auf „neue Momente der Geschlechterordnung“ oder auf die „Neuordnung des Städtischen“.

 

Einer der interessantesten Beiträge wirft die Frage nach den mit der Krise verbundenen längerfristigen Entwicklungsperspektiven des weltweiten Kapitalismus auf. Beverly J. Silver und Giovanni Arrighi versuchen zu zeigen, dass die Finanzkrise von 2008 einen der letzten Hinweise auf das Ende der US-amerikanischen Welthegemonie darstellt. Bisher war die Profitabilität daran gebunden, dass die natürliche Umwelt als kostenloser Input für die Produktion behandelt wurde. „Der Aufstieg des Westens beruhte auf einem ökologisch nicht tragbaren Modell, das nur solange funktionieren konnte, wie die überwiegende Mehrheit der Weltbevölkerung von diesem Entwicklungspfad ausgeschlossen blieb.“ (S. 227) Mit dem ressourcenhungrigen und verschwenderischen Modell der Massenproduktion und –konsumtion im Stil des „American way of life“ wurden die Reproduktionskosten der Natur externalisiert. „Das Akkumulationsmodell, das die materielle Expansion dieses Jahrhunderts angetrieben hat, kann“, so die Einschätzung der beiden amerikanischen Wissenschaftler, „keine Basis für eine neue materielle Expansion im 21. Jahrhundert sein.“ (S. 228) Deshalb brauchen wir ein völlig anderes gesellschaftliches, geopolitisches und ökologisches Modell, das sich von allen vorangegangenen Modellen unterscheidet, erst dann können wir vom Ende des historischen Kapitalismus sprechen. A. A.

 

VielfachKrise im finanzmarktdominierten Kapitalismus. Hrsg. v. Alex Demirovic … In Kooperation mit dem Wissenschaftl. Beirat von attac. Hamburg: VSA, 2011. 228 S., € 16,80 [D], 17,30 [A], sFr 29,50

 

ISBN 978-3-89965-404-2