Verkehrswende? Fahrzeugverkehr als soziale Praxis

Ausgabe: 1999 | 3

Die Visionen vom „Ende des Automobils“ (W. Canzler/A. Knie, 1994) sind heute am Ende des Jahrtausends ausgeträumt. Die massenhafte Verbreitung von Automobilen schreitet munter voran, obwohl ihre umweltschädigenden Folgen allgemein bekannt sind. Die Attraktivität des Autos hat der vielbeschworenen Verkehrswende-Rhetorik weitgehend standgehalten. Deshalb sollte, so die Autoren, der „weitverbreitete Wunsch nach der Verfügbarkeit von Automobilen einfach als konstitutives Merkmal moderner Gesellschaft hingenommen und akzeptiert werden“. Den hier angesprochenen „Wechsel der Perspektive“ versuchten die Mitarbeiter der Projektgruppe Mobilität am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) im Rahmen einer mehrjährigen Forschungsarbeit, auf die der vorliegende Band zurückgeht.

Die einzelnen Autoren suchen in ihren Beiträgen die Affinität moderner Gesellschaften zur geschützten und eigensinnigen Selbstbeweglichkeit aus unterschiedlichen Perspektiven darzustellen. Dabei wird konsequent zwischen Mobilität (als Bewegung im sozialen Raum) und Verkehr (als Bewegung im geographischen Raum) unterschieden.

Selbstbeweglichkeit als Handlungs- und Anspruchsniveau in Form individuell verfügbarer Verkehrsmittel werden, so die Ergebnisse der Umfeldanalyse für den Verkehr von morgen, auch künftig bevorzugt. Erfolgreich sind demnach sogenannte „intermodale Provider-Konzepte“, die einerseits den zu erwartenden politischen Rahmenbedingungen ihre Reverenz erweisen und andererseits den gesellschaftlichen Trends nach flexiblen multioptionalen Konsumformen entsprechen (vgl. S. 19). Wie in anderen Bereichen des Dienstleistungsgeschäftes muß die Gestaltung neuer Verkehrskonzepte auf die Kundschaft zugeschnitten sein. Dem entspricht etwa das CashCar-Modell als Full-Service-Leasing-Angebot, das der Kundschaft volle Verfügbarkeit über ein Automobil gibt und zusätzlich die Möglichkeit bietet, das Fahrzeug bei eigenem Nichtgebrauch gewinnbringend weiterzugeben. (Andreas Knie/Markus Petersen). Interessante Zusammenhänge ergeben sich aus den „Reflexionen über neuen Verkehr und neue Technik in Tokio und München“ von E. F. Moritz. Seine Schilderungen der „Staulage“ in beiden Städten könnten durchaus den einen oder anderen „Stausteher“ zu Überlegungen an integrierte, innovative und vielschichtige Lösungen des Verkehrsdilemmas inspirieren, sollte man meinen. A. A.

Bewegende Moderne. Fahrzeugverkehr als soziale Praxis. Hrsg. v. Regina Buhr ...Berlin: Ed. Sigma, 1999. 198 S., DM / sFr 29,80 / öS 218,-