Verkehr. Umwelt. Klima.

Ausgabe: 2007 | 4

Einst bewegte sich der Mensch mit geringer Geschwindigkeit und Bodenhaftung. Mit dem massenhaften Einsatz unterschiedlicher Verkehrsmittel relativierte sich diese Erdverbundenheit. Wir bewegen uns inzwischen auf dem Globus „in ständig beschleunigter Gangart“. Der Verlust an Bodenhaftung geht einher mit vorherrschendem Geschwindigkeitsfetischismus und Technikwahn, der alles Machbare auch macht. Allen Warnungen zum Trotz: Die Zahl der Autos steigt weltweit ebenso wie die per Flugzeug zurückgelegten Strecken. Winfried Wolf analysiert in seinem Buch die Folgen des Tempowahns und plädiert für eine Entschleunigung des Lebens. Die pro Person zurückgelegten und die je Ware beinhalteten Kilometer können und müssen radikal reduziert werden.

 

In einem Rückblick auf die inzwischen 250 Jahre währende Akzeleration zeigt der Politologe und Journalist den Beginn der Transportglobalisierung im 19. Jahrhundert. Die ersten Verkehrsträger der industriellen Revolution waren die Segel- und Dampfschiffe auf den weltweiten Seewegen. Es folgte 1804 der erste mit Dampfkraft betriebene Eisenbahnzug der Welt. Der historische Blick gilt natürlich auch dem Aufstieg des Automobils von den Ursprüngen bis zur Massenmotorisierung. Aktuelle Entwicklungen wie die Bahnprivatisierung und deren Auswirkungen bleiben ebenfalls nicht unberücksichtigt.

 

2005 waren, so der Autor, weltweit 640 Millionen Pkws registriert, 70 Prozent davon in Nordamerika, Europa, Japan, Australien und Neuseeland, in denen nur 17 Prozent der Menschen leben. „Wenn in Indien und China nur die Pkw-Dichte erreicht wird, die es 1989 auf dem Gebiet der DDR gab, verdoppelt sich die Zahl der Autos weltweit.“ (S. 11) Wolf gibt noch ein weiteres Faktum zu bedenken: „Die gewaltigen Steigerungen der Transporte von Personen und Gütern sind mit hohen Kosten verbunden, die nicht in den Transportpreisen enthalten sind.“ (S. 13) Zitiert wird eine Studie, nach der allein in Westeuropa jährlich rund 650 Milliarden Euro an „externen Kosten des Verkehrs“ (Menschenleben, Klimaerwärmung, Umweltbelastungen, gesundheitliche Schädigungen, Anm. d. Red.) entstehen, wobei 84 Prozent davon auf den Straßenverkehr und 14 Prozent auf den Luftverkehr entfallen.“ Es sind aber nicht nur die externen Kosten, sondern die zusätzlichen vielfältigen Subventionen, die letztlich in künstlich reduzierten Transportpreisen münden. Umfassend werden Struktur und Kosten der Autogesellschaft, der Energieverbrauch sowie die damit einhergehende Klimabelastung und Luftverschmutzung erörtert.

 

Die Konsequenz daraus ist die Forderung nach einer radikalen Verkehrswende – zugegeben, dies hören wir nicht zum ersten Mal. Für Wolf ist aber tatsächlich eine Politik des „Weiter so“ völlig unrealistisch und irrational. Der Autor setzt hierbei nicht nur auf schöne Worte, sondern auf konkrete organisierte Gegenwehr, auf Beispiele des Widerstands gegen die Privatisierung von Häfen und der Bahn. Eine Alternative zur Automobilität muss entwickelt werden.

 

„Ein elementarer Bestandteil dieser Alternative besteht darin, Tempo aus der Wirtschaftsentwicklung und der Transportorganisation zu nehmen sowie Nähe, regionale Wirtschaftskreisläufe und direkte Formen der Kommunikation im näheren Umfeld neu zu entdecken.“ (S. 358) In der Verwendung von Biokraftstoffen sieht Wolf keine Lösung: „Biotreibstoffe aus Raps, Roggen, Mais und einigen anderen nachwachsenden Rohstoffen sind umweltschädlicher als Benzin und Diesel.“ (S. 367) Im Wesentlichen sind es drei Faktoren (schlechte Umweltbilanz, Flächenverbrauch, Konkurrenz der Landwirtschaft, die Nahrung anbaut), die  gegen einen groß angelegten Einsatz von Kraftstoffen aus nachwachsenden Rohstoffen sprechen.

 

Wie soll nun die erwähnte alternative Organisation der persönlichen Mobilität und der Transporte von Gütern aussehen? Wolf stellt abschließend sieben Tugenden eines alternativen Verkehrsmodells vor: 1. Priorität muss der Vermeidung von Verkehr gelten; 2. Strukturpolitik der kurzen Wege; 3. Modernisierung und Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs; 4. Umsetzung erster autofreier Straßen, Tage, Stadtteile (Autofreie Wohnanlagen oder Tourismusorte gibt es schon); 5. Stärkung bzw. Verlagerung des Verkehrs auf die Schiene; 6. Reduktion von Flugverkehr und 7. Radikale Reduktion des Güterverkehrs. Die Modellrechnung des Autors für das Jahr 2025 geht von einer Reduktion des PKW-Verkehrs auf ein Niveau der 1960er Jahre mit gut 7.000 (2004 waren es 10.750) zurückgelegten Kilometern pro Person in Deutschland aus. Dies scheint zweifellos heute noch utopisch, zukunftsfähig und nachhaltig wäre es aber allemal. A. A.

 

Wolf, Winfried: Verkehr. Umwelt. Klima. Die Globalisierung des Tempowahns. Wien: Promedia, 2007. 495 S., € 33,90 [D], 34,90 [A], sFr 58,50

 

ISBN 978-3-85371-271-9