Walter Spielmann: Unterwegs zur transnationalen Weltgesellschaft

Ausgabe: 1997 | 4

Editorial aus der ProZukunft-Ausgabe 4/1997

Zumindest einen Hoffnungsschimmer - so die überwiegende Meinung der Kommentatoren vermochten die 15 Regierungschefs der EU zu verbreiten, als sie jüngst beim "Beschäftigungsgipfel" in Luxemburg (schon lange diskutierte) Leitlinien zum Abbau der Arbeitslosigkeit verabschiedeten. Vor allem die steuerliche Entlastung der Arbeit soll - in nationalen Programmen bis zum Jahr 2002 verpflichtend (doch nicht sanktionierbar!) festgeschrieben - dafür Sorge tragen, dass die Fratze der neoliberalen Ökonomie uns nicht noch weiter das Fürchten lehrt. Gewiss: die Absicht ist redlich; mehr als ungewiss und auf mittlere Sicht gesehen ungenügend jedoch sind die Rezepte, mit denen nicht nur (bezahlte)Arbeit geschaffen, sondern darüber hinaus auch eine lebenswerte Zukunft gestaltet werden soll. Im Prozess der Globalisierung nämlich sind (und bleiben auf lange Sicht) Kapital und Arbeit entkoppelt, womit das traditionelle Selbstverständnis der „Arbeitsgesellschaft" zerbricht. Immer weniger ist zudem der (National)Staat in der Lage, auf diese Entwicklung angemessen zu reagieren, da ihm nicht nur die materiellen Mittel, sondern auch noch die BürgerInnen abhandenkommen, die ihre Interessen primär in heimatlicher Selbstbegrenzung realisieren (wollen oder können). Neben den zahlreichen Neuerscheinungen, die im Schwerpunktkapitel dieser Ausgabe Alternativen zu einer an überholte Konzepte sich klammernde Politik aufzeigen, ist es vor allem das neue Buch des Münchner Soziologen Ulrich Beck, (1) das gleichermaßen (auf)klärend, aufrüttelnd und zukunftsweisend auf den grassierenden Virus allgemeiner Verunsicherung eingeht und probate Mittel gegen die Denkfallen einer Mentalität des "Weiter so" zur Diskussion stellt. Erhellend und für die weitere Debatte hilfreich ist zunächst eine dreifache Differenzierung, mit der der vielbeachtete, doch auch umstrittene Vordenker der "Zweiten Moderne" Licht in die von diffuser Begrifflichkeit geprägte Globalisierungsrhetorik bringt: Wir leben bereits in einer von Differenz und Vielfalt geprägten "Weltgesellschaft", argumentiert Beck, „in der die Vorstellung geschlossener Räume fiktiv" ist (S. 27f.). Dieser mit Globalität bezeichnete Zustand sei unumkehrbar, polyzentrisch und müsse vor allem politisch gestaltet werden. Während Globalisierung den Prozesscharakter dieser erst in ihren Anfängen (und damit in erster Linie als Bündel von Unsicherheiten) erkennbaren Entwicklung bezeichnet, meint Globalismus die Ideologie der Weltmarktherrschaft, die die vielfältigen Dimensionen der (ökologischen, kulturellen zivilgesellschaftlichen) Globalisierung kappt und auf das Ziel der Profitmaximierung hin verkürzt, womit Politik nicht nur eingeschränkt wird, sondern letztlich abhandenkommt. Wer nun befürchtet, hierwürde. einmal mehr, einer düsteren Zukunft, der wir uns alle zu ergeben hätten, das Wort geredet, den überrascht Ulrich Beck an dieser Stelle mit einer bislang in seinem gegen die Unvernunft des Alltäglichen sich richtenden (und dementsprechend auch mit geradezu symptomatischer Eile publizierten) Schrifttum mit einer Vielzahl konkreter Vorschläge, wie dem gesellschaftszersetzenden Ökonomismus - eine "Wiedergeburt des Marxismus als Management-Ideologie" (S. 203) - zu begegnen sei. In den zentralen Abschnitten seines Buchs nämlich stellt er 10 "Irrtümern des Globalismus" ebenso viele "Antworten auf Globalisierung" gegenüber: die Ausweitung internationaler Zusammenarbeit; die Ausbildung eines vom Prinzip „inklusiver Sicherheit" geprägten Modells von „Transnationalstaaten": Beteiligung der (Teilzeit)Erwerbstätigen am Kapital, Neuorientierung und massiver Ausbau (!) der (Bildungs)politik gehören zu den vorgeschlagenen Elementen ebenso wie ein Bündnis für Bürgerarbeit oder die "glokal" orientierte Neuausrichtung der Wirtschaft; nicht Einschränkung, sondern Förderung experimenteller Kulturen: von Nischenmärkten und gesellschaftlicher Selbststeuerung; die Ersetzung (abhängiger) Arbeit durch Selbst-Arbeit in mitverantwortlich getragenen Unternehmen und schließlich die Ausarbeitung eines neuen Gesellschaftsvertrags, in dem v.a. "Fragen der wirtschaftlichen und sozialen Gerechtigkeit im Weitmaßstab in den Zentren der globalen Zivilgesellschaft aufzuwerfen und wachzuhalten sind" (S. 257) - all das sind Vorschläge (und Aufträge insbesondere an Europa), wie der Trägheit des Faktischen zu begegnen wäre. Sie alle verdienen breite Aufmerksamkeit und kritische Reflexion und Ergänzung, vor allem um den Mut der Erprobung in der Praxis. Denn eines steht wohl - bei aller Unübersichtlichkeit - außer Streit: Um sklerotischem Strukturkonservativismus und fehlendem Reformwillen zu begegnen, hilft Untergangsrhetorik ebenso wenig wie von Blindheit geschlagene Fortschrittseuphorie. Beide verkennen, dass wir am Beginn einer Epoche stehen, in der "eine kosmopolitische Gesellschaft auch möglich wird neben den Katastrophen, die dieses Auch-Möglich enthält. Aus Fixierung auf das Katastrophale jene Auch-Möglichkeit zu übersehen, heißt. unrealistisch zu sein" (S. 187). Walter Spielmann

(1) Ulrich Beck: Was ist Globalisierung? Irrtümer des Globalismus - Antworten der Globalisierung. Frankfurt/M.: Suhrkamp, 2705., DM 26,-/ sFr 24,-/ öS 790,-