Georg M. Oswald

Unsere Grundrechte

Ausgabe: 2019 | 3
Unsere Grundrechte

In seinem kompakten Buch zu den Grundrechten geht der deutsche Rechtsanwalt und Autor Georg M. Oswald Schritt für Schritt die ersten 19 Artikel des deutschen Grundgesetzes durch und erläutert leicht verständlich, was es mit jedem Recht im Detail auf sich hat – aus welchem historischen Kontext es entstanden ist, wie es in der Praxis umgesetzt wurde und welche Bedeutung es in der Gegenwart hat. Oswalds Verdienst ist es, dass er keinen trockenen Rechtstext vorlegt, sondern eine unterhaltsame Lektüre für all jene anbietet, die keinerlei juristisches Vorwissen mitbringen.

Die Tatsache, dass es um das deutsche Grundgesetz geht, macht das Buch nicht weniger interessant für LeserInnen aus anderen Ländern: Denn die grundsätzliche Essenz von Menschenwürde, Freiheitsrechten in ihren verschiedenen Ausprägungen oder das Bekenntnis zum Sozialstaat sind ja ohne Frage auch jenseits nationalstaatlicher Grenzen relevant.

Oswald setzt in seiner Übersicht auf Differenzierung und betont, dass viele Grundrechtsfragen schwierige Abwägungsmomente beinhalten: Ab wann ist ein Grundrecht verletzt? Wie verändert sich die Auslegung durch die Geschichte – wie „modern“ muss ein Grundrecht sein?

Menschenwürde und Meinungsfreiheit

Am Anfang der Grundrechte steht der schwierige Begriff der Menschenwürde. Diese ist nicht verhandelbar, denn: „Das Menschsein darf einem Menschen nicht abgesprochen werden, ohne Ausnahme, nie“ (S. 27). Was die verschiedensten Freiheitsrechte anbelangt, gilt  – wie auch bei anderen Grundrechten – das Prinzip der Verhältnismäßigkeit: „Das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit endet dort, wo es Rechte anderer verletzt, gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen das Sittengesetz verstößt“ (S. 36). Gleichzeitig ist vor allem die Intimsphäre eines Menschen besonders geschützt; denn ein absolut geschützter Raum ist zentral für die Autonomie. Hier konstatiert Oswald einen aktuellen Trend, sich der eigenen Autonomie zunehmend leichtfertig zu entledigen: Nicht der Staat, sondern große private Internetkonzerne werden zunehmend zur Gefahr für die individuelle Freiheit.

Auch die Meinungsfreiheit wird aktuell besonders diskutiert, im Kontext von Political Correctness und Fake News. Grundsätzlich ist es Ausdruck individueller Freiheit, eine eigene Meinung zu haben, und diese muss auch nicht wahr oder fundiert sein – doch darf damit nicht zum Hass aufgestachelt werden. Dem Vorwurf, Political Correctness beschneide die Meinung, kann Oswald wenig abgewinnen: „Wer sich von Political Correctness und Tugendterror verfolgt fühlt, erträgt möglicherweise nur nicht, dass man es wagt, seinen Ansichten zu widersprechen“ (S. 63).

Familie, Postgeheimnis und Asyl

Wie sehr sich der „Geist“ der Grundrechte über die Jahrzehnte ändern kann, zeigt das Beispiel des besonderen Schutzes von Ehe und Familie im Grundgesetz. Niemand hätte sich wohl während der Entstehungszeit nach dem Zweiten Weltkrieg vorstellen können, dass Homosexuelle Ehen schließen können und Patchworkfamilien zur Normalität werden. Diese gesellschaftlichen Änderungen zeigen, dass die Auslegung der Grundrechte so dynamisch wie die Gesellschaft selbst sein muss. Das gilt auch für das antiquiert wirkende Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis, welches tatsächlich mit der Datensammelwut großer Internetkonzerne neue Relevanz erhalten hat: Es wird nun zu einem Grundrecht „informationeller Selbstbestimmung“ (vgl. S. 110) und muss endlich an die neuen Realitäten angepasst werden.

Dem Asylrecht widmet Oswald besonderes Augenmerk – kein anderes Recht ist in den letzten Jahren so heftig hinterfragt worden. Das Asylrecht ist vor allem mit Generosität verbunden: Man gewährt Schutz, nicht weil man es sich leisten kann, sondern aus humanitären Gründen. Damit sind auch die oft gehörten Argumente des „vollen Bootes“ obsolet.

Am Ende plädiert der Autor für das Zulassen von Komplexität – sei es jene, die von einer parlamentarischen Demokratie hervorgebracht wird, oder jene, die ein ausdifferenzierter Rechtsstaat mit sich bringt. Eine Vereinfachung politischer und rechtlicher Prozesse darf niemals die Grundrechte in Frage stellen – damit würde das Ende der Demokratie eingeleitet.