Über die Zukunft der Europäischen Union

Ausgabe: 1994 | 3

Aus Anlass des 30jährigen Bestehens der Stiftung MITARBEIT hat deren Vorstandsmitglied Richard von Weizsäcker Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, die der auf die Stärkung bürgerschaftlichen Engagements abzielenden überparteilichen Institution verbunden sind, zu Gesprächen über die Zukunft der Europäischen Union eingeladen. Die in der Folge entstandenen 11 Beiträge dieses Bandes (von denen hier nur einige angesprochen werden können) stammen aus der Feder politischer wie (rechts)wissenschaftlicher Prominenz und kreisen um das Gestaltungspotential eines föderalistisch und subsidiär strukturierten Kontinents. Mit Ausnahme von Manfred Brunner, der als prominenter Maastricht-Kritiker die Einklagbarkeit nationalstaatlicher Grundrechte betrieben und durchgesetzt hat, sind alle Autoren der Auffassung, dass eine Stärkung der Demokratie im Rahmen des eingeschlagenen Integrationsprozesses geleistet werden kann.

Die bayerische SPD-Vorsitzende Renate Schmidt plädiert aber (wie viele andere in dieser Runde auch) für eine bedachtsame Entwicklung europäischer Identität und fordert eine Politik "so bürgernah wie möglich, so supranational wie nötig". Ihr Parteifreund Peter Glotz hält den immer wieder vorgebrachten Einwand, dass eine kritische Öffentlichkeit übernational nicht organisierbar sei, für "resignativen Unsinn"; er stützt seine Argumentation v. a. auf die Schaffung eines (auch gewerkschaftlich zu formenden) europäischen Kommunikationsraums mit einer Gemeinsprache. Aus der Perspektive des Bundesverfassungsrichters setzt sich Helmut Simon mit dem Streit um Maastricht auseinander und bemängelt in diesem Kontext das Fehlen des Instrumentariums "Volksentscheid" in Deutschland.

Soziale Defizite der Union thematisieren u. a. Uwe Fink und Eberhard Köhler. Während ersterer eindringlich den "sozialen Dialog" und die Einhaltung verbindlicher Sozialstandards einmahnt, um Arbeit und Gesundheit zu sichern, wirbt der Zweitgenannte für die von ihm geleitete „Foundation for the Improvement of Living and Working Conditions" (Dublin) als Modell konstruktiver Konfliktlösung zwischen Arbeitnehmer- und -geberseite. Die Stärkung der Rechte jener Minderheit, der das Privileg einer Unionsbürgerschaft nicht zuteilwurde, ist zentrales Anliegen von Cornelia Schmalz-Jacobson. Wertvoll ist auch der Anhang mit jener hellsichtig sensiblen Rede V. Havels vor dem Europäischen Parlament vom 8. März d.J. sowie einem von diesem Gremium erarbeiteten Entwurf zu einer europäischen Verfassung. 

W Sp.

Wieviel Demokratie verträgt Europa? Wie viel Europa verträgt die Demokratie? Renate Schmidt ... (Mitarb.) Red.: Tilman Evers. Hrsg. v. der Stiftung MITARBEIT Opladen: Leske + Budrich, 1994. 192 S. DM 19,80 / sFr 20,50/öS 155