Technolution. Wie unsere Zukunft sich entwickelt

Ausgabe: 2009 | 1

Warum wurden viele Träume, die die (technikverliebte) Menschheit seit langem hegt, nicht Wirklichkeit? Welchen Illusionen hängt sie ohne jede Aussicht auf Erfüllung nach? Was wäre machbar, erblickt aber niemals das Licht der Welt? Nach welchen Prinzipien findet technologische Entwicklung statt? Und letztlich: Was dürfen wir (von ihr) in Zukunft erwarten?

 

Fragen wie diesen geht Matthias Horx in diesem faktenreichen, fundiert recherchierten, mit zahlreichen Bildern und Grafiken ansprechend aufbereiteten und nicht zuletzt auf hohem Niveau auch unterhaltsamen Buch nach. Weitgehend auf semantische Eskapaden verzichtend, legt der Autor – soviel sei vorweggenommen – eine seiner überzeugendsten Publikationen aus jüngster Zeit vor. Warum also scheitern Innovationen? Nach einem Präludium, das über häusliche Funde auf dem elterlichen Dachboden unterrichtet, kommt Horx direkt zur Sache: Dass dem Zeppelin, dem ‚glorreichen König der Lüfte’, kein Erfolg beschieden war, sei nicht auf die wenigen, wenngleich spektakulären Katastrophen zurückzuführen (der Brand der ‚Hindenburg’ beim Anflug auf Lakehurst am 6. Mai 1937 forderte 35 Menschenleben, der Untergang der ‚Titanic’ 1912 hingegen 1504). Gasgefüllte Fluggeräte setzten sich, so die These des Autors, vielmehr aus soziokulturellen Gründen nicht durch, schlichtweg, weil sie zwar jeden Luxus der damaligen Zeit boten, aber nicht dem Anspruch hinreichender Geschwindigkeit gerecht wurden. Hingegen wurde die Entwicklung der Concorde zu einem Desaster, weil die Erfindung des Labtops den mutmaßlichen Vorteil des Zeitgewinns so gut wie bedeutungslos machte. Anhand zahlreicher weiterer Beispiele wie etwa dem fliegenden, dem fremdgesteuerten Automobil oder dem Bildtelefon weist Horx überzeugend nach, dass „Technologien, ebenso wie die Spezies in der Evolution, den Kriterien des kooperativen Überlebensvorteils unterliegt“ (S. 37). Der ‚Segway’R wurde durch die Konkurrenz alternativer Fortbewegungsmittel ausgebremst, die Vision des papierlosen Büros hingegen nicht Wirklichkeit, weil Informationsvermittlung von je her mit haptischen Erfahrungen aufs engste zusammenhängt. Nach dem Versuch einer Typologie der Techno-Versager – Horx unterscheidet zwischen Mega- oder Utopieflops, Running Gags oder Fabelwesen, Fehlanwendungen, Nischen-Hypes, genialen Stümpereien und ‚Future Fades’ – wendet sich der Autor im zweiten Abschnitt der ‚Mensch-Maschinen-Symbiose’ als Zusammenwirken von Kultur und Technik zu. Demnach wird technologische Evolution von folgenden vier Aspekten bestimmt und vorangetrieben: Ökonomie und Fortschrittforschungsinteressen, kulturellen Systemen, geistigen und materiellen Ressourcen und kollektiven Wunschökonomien (vgl. S. 82).

 

Was aber veranlasst die Spezies Mensch, das Erfinden zu erfinden, was unterscheidet Kulturen des Fortschritts von jenen der (vermeintlichen) Stagnation, welche Attraktoren nehmen Einfluss auf technologische Entwicklungen? Das sind Aspekte der nachfolgenden Kapitel, in denen der Verfasser unter anderem auf den Verlauf techno-sozialer Zyklen (mit der Abfolge von Prä-Technologie, Erfindung, Prototyping, Elite-Nutzung, Adaptionskrisen, Massenfähigkeit, sozio-technischer Attraktion, Infrastrukturbildung, Lifestyle-Phase und Sättigung) ebenso eingeht wie auf soziale Auswirkungen und Zukunftsperspektiven ausgewählter (Kultur-)Techniken (wie z, B. die E-Mail oder die Postkarte). Anhand einiger Beispiele (Rasierapparat, Videospiel-Konsole,  Autoreifen, Auto, Ferngesprächgerät u. a. m.) skizziert der Autor die Formgebung von Markenprodukten und wagt darüber hinaus einen Blick in die Zukunft: als Pfade der technologischen Innovation werden dabei der Retro-Trend, Simple-Tech und Resilient-Tech (Geräte, die quasi nicht kaputtgehen) ebenso ausgemacht wie sensitive und organische Entwicklungen. Im letzten Kapitelmacht sich Mattias Horx unter dem Motto „Zu den Sternen“ schließlich über langfristige Zukunftsperspektiven wie etwa den Traum von der Unsterblichkeit und einer „transtemporalen Gesellschaft“, das Cyberspace oder die Vision eines „neuen Menschen“ Gedanken, um letzten Endes nach den Konsequenzen der technologischen Innovation zu fragen. Sind wir als Gestalter wie auch Opfer der technologischen Entwicklung dazu verdammt, zu Borgs, (fremdbestimmten Mensch-Maschinen-Zwitterwesen) zu mutieren? Oder ist in ferner Zukunft die Technostase, das Ende der technologischen Entwicklung in einer befriedeten, ökologisierten und hoch effizienten Welt denkbar? Vorstellbar ja, meint Horx, aber alles andere als wahrscheinlich, „da weder Technologie noch Biologie auf diese Weise funktionieren. (…) Das Universum lebt und es ändert sich ständig“ (S.241). Nichtsdestotrotz endet Matthias Horx mit einem versöhnlichen, m. E. gar allzu optimistischen Ausblick (den ich allerdings auch wider alle Vernunft gerne teile): „Menschen der Zukunft“, so seine Prognose, „werden humaner sein als die heutigen Menschen. Sie werden es vermocht haben, Technologie als mentale Selbstverstärkung zu nutzen, als selbstverändernden Spiegel, in dem das Humane sichtbar wird. Sie werden, gewiss, die Erleichterungen und Tröstungen, die uns Technologie auch bietet, fortentwickeln. Aber sie werden diejenigen bleiben, die wir heute sind: leidende, sterbende Wesen, für die Liebe, Tod, Empathie die endlos ungelösten Herausforderungen bleiben.“ (S. 245). W. Sp.

 

Horx, Matthias: Technolution. Wie unsere Zukunft sich entwickelt. Frankfut/M.: Campus, 2008. 278 S., € 24,90 [D], 25,60 [A], sFr 44,-

 

ISBN 978-3-593-38555-6