Streitfall Klimawandel

Ausgabe: 2015 | 4

image011Fast niemand mehr bestreitet heute die Realität des Klimawandels. Uneinigkeit herrscht hingegen bezüglich der Fakten und der kulturellen Auswirkungen des Klimawandels. Der Geograph und Klimaexperte Mike Hulme (www.mikehulme.org) untersucht genau dieses Phänomen und macht darauf aufmerksam, dass niemand genau weiß, was tatsächlich passieren wird und wie die besten Handlungsoptionen aussehen. Deshalb macht es für ihn auch keinen Sinn, über dieses oder jenes wissenschaftliche Faktum zu streiten. Klimawandel allein als Umweltproblem zu verhandeln, das nach einer schnellen technischen oder politischen Lösung verlange, sei zu kurz gegriffen. Hulme ist davon überzeugt, dass die Risiken greifbar und ernsthaft sind, der Klimawandel aber zu allererst eine kulturelle Herausforderung darstelle. Um das Problem angemessen deuten zu können, bedürfe es der Kenntnis einer Vielfalt an säkularen und religiösen Glaubenssystemen und deren weitrechenden Konsequenzen. Gerade aber der Dissens unserer Sichtweisen böte seiner Ansicht nach die Gelegenheit, sich einer Vorstellung von Klimawandel zu nähern und grundsätzlich über unsere Überzeugungen, Werte, Einstellungen, Sehnsüchte und Verhaltensweisen zu diskutieren.

Hulme's Reise durch die facettenreiche Welt des Klimawandels ergründet zunächst, wie verschieden menschliche Gesellschaften im Laufe der Zeit über "Klima" nachgedacht haben, und bietet eine Zusammenfassung der Klima-Kulturgeschichte. Dabei erläutert er, wie nach und nach klar wurde, dass die Menschheit eine aktive Triebkraft für Veränderungen der physischen Eigenschaften von Klima wurde, und er untersucht die Vorstellung von Klimawandel aus verschiedenen Perspektiven. In den folgenden Kapiteln erörtert der Autor dann, warum wir über den Klimawandel uneins sind. Einer der Gründe bestehe darin, dass wir Wissenschaft und wissenschaftliches Denken auf verschiedene Weise verstehen. Einen weiteren Grund für unsere Uneinigkeit sieht der Autor in unserer unterschiedlichen Wertbeimessung von Dingen und darin, dass wir unterschiedliche Dinge über uns selbst, das Universum und unseren Platz im Universum glauben. Es gehe auch um unsere Ansichten zu Wohlstand und Entwicklung und wie wir über Fortschritt denken. Menschen unterscheiden sich Hulme zufolge auch grundlegend in ihren Wertesystemen - etwa in Bezug auf die Einstellungen gegenüber Risiken und die Art, wie diese kommuniziert werden. In Sachen Klimawandel zeigt sich für den Autor wie kaum sonst wo, wie eindeutige Wahrheiten oder wissenschaftliche Erkenntnisse ganz unterschiedlich gedeutet werden können. Die Bemühungen um einen international koordinierten Stopp des Klimawandels beurteilt er deshalb äußerst skeptisch.

Abschließend wagt Hulme einen Blick auf unsere Welt jenseits von Klimawandel und begründet, warum dieser kein Problem ist, "das in dem Sinne gelöst werden kann, wie dies etwa im Falle des Ozonlochs geschah" (S. 33). Den Klimawandel zu lösen sollte deshalb seiner Ansicht nach nicht mehr im Fokus unserer Anstrengungen liegen. "Stattdessen müssen wir prüfen, wie wir die Vorstellung von Klimawandel nutzen können - das Geflecht ökologischer Funktionen, Machtverhältnisse, kultureller Diskurse und Materialflüsse, die Klimawandel enthüllt -, um zu überdenken, wie wir unsere politischen, sozialen, wirtschaftlichen und privaten Projekte über die kommenden Jahrzehnte voranbringen können." (S. 335f.) Zudem müssen wir begreifen, "dass die Quellen, warum wir über Klimawandel uneins sind, tief in uns liegen, in unseren Werten und in unserem Gefühl von Identität und Bestimmung." (S. 337)

Was bleibt, ist eine interessant zu lesende Darstellung der vielen Interpretationen und Überzeugungen zum Klimawandel und der verschiedenen Rollen, die Wissenschaft, Ökonomie, Religion, Psychologie, Medien und Politik in der Debatte spielen. Wohltuend bleibt der übliche Aufruf zum Handeln an die Zivilgesellschaft aus. Alfred Auer

 Hulme, Mike: Streitfall Klimawandel. Warum es für die größte Herausforderung keine einfachen Lösungen gibt. München: oekom-Verl., 2014. 375 S., € 24,95 [D], 25,70 [A]  ; ISBN 978-3-86581-459-3