Friedrich von Borries, Benjamin Kasten

Stadt der Zukunft

Ausgabe: 2020 | 1
Stadt der Zukunft

Was Stadt interessant macht, ist ihre Dichte, „das Nebeneinander von Unterschiedlichem, Vielfalt und Heterogenität“ (S. 75), so Friedrich von Borries, Architekt und Professor für Designtheorie an der HFBK Hamburg, und sein Kollege, der Stadtplaner Benjamin Kasten, in ihrem faszinierenden Buch „Stadt der Zukunft“. Denn: „Dichte forciert unerwartete Begegnungen, ohne Konfrontation mit Fremdem und Unbekanntem entsteht nichts Neues.“ (S. 75). Untergliedert in die Handlungsfelder Infrastruktur, Mobilität, Ökosystem, Ressourcen, Arbeit, Wohnen, Eigentum, Sicherheit, Partizipation, Ästhetik und eben Dichte entwerfen die beiden Autoren das Bild einer Stadt, die offen, nie fertig und von hoher Lebensqualität für die Menschen ist, aber auch Platz hat für Tiere und Pflanzen. Sie skizzieren eine Urbanität, die mit bisherigen Vorstellungen von Stadt und deren Inwertsetzung bricht, dabei aber immer an bereits bestehende Praxisbeispiele anknüpft.

Exemplarisch seien einige Facetten der Stadt der Zukunft genannt: Diese löst sich vom motorisierten Individualverkehr, „weil die autogerechte Stadt die Menschen krank macht“ (S. 79), die Straße der Gegenwart wird rückgebaut und zum „Experimentierraum der Zukunft“ (85), „die Stadt der Zukunft lernt schwimmen“ (S. 90), sie erschließt sich ihr Flüsse und Bäche, sie wird zur Schwammstadt, die sich durch Grünflächen gegen Hochwasser und Starkregen schützt, sie wird zu einem Ökosystem geschlossener Kreisläufe, in denen Nahrungsmittel auf Dachfarmen oder unterirdischen Pilzzuchtanlagen erzeugt, Dinge in  Werkstätten wieder repariert und Rohstoffe in entsprechenden Anlagen recycelt werden. Selbstverständlich wird auch Energie selbst erzeugt: „Wind- und Solaranlagen auf den Dächern und an den Fassaden werden in Zukunft so normal sein wie heute Tiefgaragen.“ (S. 93) In der ökologischen Stadt findet, so die Autoren, eine neue Reindustrialisierung statt: Rapid Prototyping, Urban Farming, Handwerk, lokale Recycling- und Reparaturökonomie eröffnen neue Geschäftsfelder, Co-Working-Spaces werden ebenso an Bedeutung gewinnen wie Ansätze des Co-Livings. Mit der Arbeit würden sich die Infrastrukturen verändern, kürzere Arbeitszeiten mehr Engagement ermöglichen, was entsprechende öffentliche Räume erfordere, zugleich aber die Partizipation stärke. Die Autoren prognostizieren sich verändernde Wohnbedürfnisse, sie sprechen von einer „post-bürgerlichen Wohnkultur“ (S. 110), die auf Repräsentation verzichtet und mit weniger Fläche auskommt. Experimente gemeinschaftlichen und flexibilisierten Wohnens mit Microappartements und Gemeinschaftsküchen würden zunehmen.

Die dargelegten Ideen mögen utopisch erscheinen. In der Tat gehen die Autoren von der Überwindung des gegenwärtigen Konsumkapitalismus sowie einer autofixierten Mobilität aus. Sie sehen vielmehr immaterielle Werte wie Selbstverwirklichung und neue Gemeinschaftsbedürfnisse als zukunftsbildend. Und dennoch verkennen sie die Wirklichkeit nicht, etwa die steigenden Wohnkosten oder die globale Polarisierung. Der „Stadt als Geschäftsmodell“ (S. 120) kapitalistischer Profitinteressen stellen sie daher eine radikale Abkehr von bisherigen Eigentumsvorstellungen entgegen. Wir müssten uns von der Vorstellung verabschieden, „Grund und Boden könnten jemandem gehören“ (S. 115). Stiftungs- und Genossenschaftsmodelle werden als Beispiele für neue Besitzformen der Zukunft genannt. Kritisch sehen die beiden auch die zunehmende „Versicherheitlichung des öffentlichen Raums“ (S. 121) durch immer mehr Überwachungskameras, vielmehr plädieren sie für lokale Netzwerke und gemeinschaftlich genutzte öffentliche Räume, in denen „soziales Miteinander gelebt wird und wo sich gegenseitig unterstützende Gemeinschaften entstehen können“ (S. 123) als wirksamere Sicherheitsmaßnahme.

In einem kurzen Kapitel „Offene Punkte“ bekennen die Autoren von ihnen ausgesparte, „blinde Flecken“, insbesondere die Gefahr einer Verschärfung der „globalen Klassengesellschaft“  (S. 134) mit wachsenden Zäunen und Mauern sowie die fortschreitende Kapitalisierung von öffentlichem Raum, wenn Städte „wie Unternehmen geführt werden“ (S. 134). Hier hoffen von Borries und Kasten auf politisch wache und engagierte StadtbürgerInnen, die dem entschieden entgegentreten.

Dass eine andere Stadt möglich ist, zeigen die knapp fünfzig im Anhang beschriebenen, bereits existierenden Neuansätze von engagierten Gruppen, Stadtplanern oder ArchitektInnen aus aller Welt. Dass diese neuen Ansätze nicht auf die reichen Metropolen des Nordens beschränkt sind, machen auch den Band ergänzende Interviews mit Architekturkollegen aus China und Afrika sowie einer Designerin aus Lateinamerika deutlich.

Von Borries und Kasten sprechen bewusst von einer „Globalopolis“, weil sie davon ausgehen, dass eine Transformation der Städte in Nord und Süd der entscheidende Hebel für einen Übergang zu nachhaltigen Zivilisationen sein wird. Ein Befund, dem zuzustimmen ist, wenn es gelingt, die destruktiven Potenziale des Wachstumskapitalismus zu überwinden. Das Buch bietet in erfrischender Weise eine Vielzahl an Anregungen und Beispiele, wie Städte wieder zu einem öffentlichen Raum und zum Motor einer Nachhaltigkeitswende werden können.