Soziale Bewegungen und Social Media

Ausgabe: 2012 | 2

Die Anwendungen des Web 2.0 machen kommunikative Instrumente allgemein verfügbar, die für Protest, Online-Kampagnen, für politische Partizipation und Dialog gänzlich neue Möglichkeiten eröffnen. Sie sind aus dem Kommunikationsmix von sozialen Bewegungen längst nicht mehr wegzudenken. Die „rumorenden Bewegungen“ bedienen sich ganz einfach der Mittel der Zeit und so ist auch dieses Buch entstanden. Es ist ein gedruckter Auszug einer kreativen Debatte, die im Internet geführt wurde (und immer noch wird). Entstanden ist es in einem nicht frei zugänglichen Arbeitswiki, dort wurde es auch lektoriert und als Dokument mit 32 Beiträgen von 47 AutorInnen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz für die Druckerei vorbereitet. Bei den Autoren handelt es sich um eine heterogene Gruppe, die u. a. aus Journalisten, Studenten, Bloggern und politisch Engagierten besteht. Auch die Form des Buches greift Elemente der Online-Welt auf, denn die einzelnen Kapitel sind wie Blogeinträge aufgebaut, einzelne Wörter werden zu „Hashtags“ (d. s. Schlagwörter die in der Twitternachricht mit einer vorangestellten Raute gekennzeichnet werden). So entstand ein Handbuch, das Beispiele erfolgreicher Social-Media-Arbeit aus Österreich und Deutschland vorstellt, von den NachDenkSeiten über die „#unibrennt“-Bewegung bis hin zu gewerkschaftlichen Web-Aktivitäten sowie Online-Kampagnen verschiedenster NGOs und Bürgerinitiativen, die Social Media für Informations-, Kommunikations- und Mobilisierungszwecke nutzen.

 

Zugegeben, das Layout des Buches ist gewöhnungsbedürftig und es dauert eine gewisse Zeit, bis man, um im Jargon zu bleiben, durch die Seiten manövrieren kann (hilfreich ist die „kurze Bedienungsanleitung“ auf Seite acht). Nach einer kurzen Einarbeitungszeit ist der Band jedenfalls gewinnbringend zu lesen.

 

 

 

Beispiele

 

Alles beginnt mit einigen Fallbeispielen, die sich zum Teil spannend lesen wie ein Krimi. So etwa der „annalist-Blog“, der vor dem Hintergrund von Terrorismusermittlungen entstanden ist. Das Blog (weil „das Web-Logbuch“ laut Duden, A. A.) diente dabei zunächst der Dokumentation der eigenen Geschichte aus Sicht der Betroffenen und avancierte bald zum vielgenutzten Online-Tagebuch. Man erfährt dabei abenteuerliche Ding wie z. B. jene, dass „Ausgehen ohne Mobiltelefon“ in gewissen Zusammenhängen als konspiratives Verhalten ausgelegt werden oder die Beteiligung an den Mobilisierungen gegen den G8-Gipfel (im besprochenen Fall war es im Jahr 2007) als Kontaktschuld gewertet werden kann. Ein weiteres Beispiel heißt fluegel.tv. Dabei handelt es sich um eine Webcam, die auf den Nordflügel des Stuttgarter Bahnhofs blickt, an dessen Stelle die Deutsche Bahn das lang geplante und umstrittene Bahnprojekt „Stuttgart 21“ (S21) realisieren möchte. Vom Interesse der von dort gesendeten Live-Bilder (zu Spitzenzeiten schalteten sich bis zu 500.000 Zuseher aus sämtlichen Regionen der Erde zu) wurden selbst die Initiatoren überrascht. (Ein Blick auf die Seite zeigt, dass die Webcam 30,80 z. Z. nicht funktioniert.) Auch die „#unibrennt-Bewegung“ setzte in ihrem Protest auf eine beispiellose Kombination aus modernen Kommunikationstechnologien und klassischer Medienarbeit: Social Networks, Website, E-Mail-Account und Pressehandy wurden sowohl für die interne als auch die externe Kommunikation genutzt (vgl. S. 47).

 

 

 

User-Manuals

 

Neben vielen Fallbeispielen enthält der Band aber auch viele nützliche Denk- und Handlungsanstöße mit einer wichtigen Message: „Nur dabei zu sein, ist noch keine Strategie“ (S. 133). Als tragende Säulen von guten Kampagnen werden die genaue Kenntnis der Zielgruppe und der Zielsetzung sowie eine fundierte strategische Planung zeitlicher und materieller Ressourcen genannt. Als hilfreiches Tool enthält der Band ein „Starter-Kit für alles, was es braucht“, „Tipps für den verantwortungsvollen und souveränen Auftritt von Dummies für Dummies“, Infos darüber, wie der Raum für Dialoge und selbstorganisiertes Lernen zu organisieren sei. Ein Beitrag beschäftigt sich zudem mit Strategien bei globalen Auseinandersetzungen und transnationalem Engagement.

 

Alles in allem eine überaus lesenswerte und praktisch orientierte Anleitung, wie kooperatives gesellschaftliches Engagement, Informations- und Kampagnenarbeit im Sinne autonomer Gegenöffentlichkeit sowie (transnationaler) Vernetzung und Zusammenarbeit aussehen kann bzw. muss. Es versteht sich von selbst, dass der Band zahllose Links und Tipps für vertiefende Informationen enthält sowie die Möglichkeit, ein E-Book der etwas anderen Art downzuloaden. A. A.

 

Soziale Bewegungen und Social Media. Handbuch für den Einsatz von Web 2.0. Hrsg. v. Hans Christian Voigt … Wien: ÖGB-Verlag,  2011. 396 S., € 29,90 [D],30,80 [A], sFr 41,90

 

ISBN 978-3-7035-1462-3