Sozialdemokratie, dritter Weg und der Wohlfahrtsstaat

Ausgabe: 1999 | 1

Die Furcht vor einem Niedergang der Moral und die Sorge um die wachsende Kluft zwischen Reichen und Armen sowie die Belastungen des Wohlfahrtsstaates bestimmten gegenwärtig die öffentliche Diskussion, so der  Cambridge-Soziologe Anthony Giddens. Entschlossen zukunftsoptimistisch seien derzeit nur jene, die an eine technologische Lösung unserer Probleme glauben. Die Technik sei aber zum einen zweischneidig und könne zum anderen auch nicht die Basis eines politischen Programms sein, denn Politik brauche Ideale und zu realisierende Ziele. Es gehe darum zu bestimmen, „in welcher Gesellschaft wir gerne leben möchten und mit welchen konkreten Mitteln wir auf sie hinarbeiten können” (S. 12).

Giddens beschreibt seinen „dritten Weg” nun als Versuch, „über die Sozialdemokratie alten Stils wie den Neoliberalismus hinauszugelangen” (S. 38). Er stellt dabei fünf Fragen: Worin genau besteht Globalisierung und welches sind ihre Auswirkungen? In welchem Sinn, wenn überhaupt, werden moderne Gesellschaften individualistischer? Ist die Unterscheidung zwischen Rechts und Links in der Tat überholt? Wie steht es um die Krise der Politik und wandert diese aus den traditionellen Zentren der Demokratie aus? Und schließlich: Wie sollten Sozialdemokraten die ökologische Krise angehen?

Ausgehend von Werten wie „Gleichheit” und „Schutz der Schwachen und Verletzlichen” , aber auch Prinzipien wie „Keine Rechte ohne Pflichten” und einem unbedingten Plädoyer für die Demokratisierung aller Entscheidungsverfahren beschreibt der Autor in der Folge die s. E. zukünftig notwendige Rolle des Staates. Dieser müsse sich auszeichnen durch Demokratisierung nach unten wie nach oben („kosmopolitische Demokratie”), als Ermöglicher einer „positiven Wohlfahrt” (die an die Stelle der lediglich reagierenden Sozialhilfepolitik tritt) sowie als Förderer einer gemischten Wirtschaft, in der die öffentliche Hand weiterhin als „Sozialinvestor” tätig ist, aber Synergieeffekte zwischen privatem und öffentlichem Sektor nutzt.

Giddens´ Zukunftsszenario des „dritten Weges” stützt sich aber auch auf eine „aktive Zivilgesellschaft", „kulturellen Pluralismus” sowie „demokratisierte Familien”, die neue Lebensformen mit einschließen, jedoch nach innen und nach außen Verantwortung wahrnehmen und so auch ihr soziales Umfeld mitgestalten.

Giddens bietet wertvolle Orientierungen etwa zur Neubestimmung des Verhältnisses zwischen BürgerInnen und Staat, Eigenverantwortung und sozialer Hilfe oder auch zwischen notwendiger Dezentralisierung und gesteuerter Globalisierung. Er macht aber auch konkrete Vorschläge zur Neubestimmung von Sozial- und Umweltpolitik und wirkt damit dem fatalen Trend der Entertainisierung des Lebens wie des Politischen entgegen. H. H.

Giddens, Anthony: Der dritte Weg. Die Erneuerung der sozialen Demokratie. Frankfurt/M.: Suhrkamp, 1999. 180 S. (Edition Zweite Moderne) DM 29,80 / sFr 27,50 / öS 218,-