Sechs Zukunftstrends als Herausforderungen und Chancen

Ausgabe: 1994 | 4

"Wer nicht mehr über die Gestaltung der Zukunft nachdenkt und entsprechend zu handeln bereit ist, der ist im Begriff sie zu verlieren." Mit diesen Worten beenden der SPD-Programmatiker und Bundestagsabgeordnete, Peter Glotz, und der ehemalige Minister für Wirtschaft, Technik und Verkehr in Schleswig-Holstein, Uwe Themas, ihre Ausführungen zur Zukunft des Wirtschaftsstandortes Deutschland, in deren Mittelpunkt die Forcierung junger Unternehmensgründungen in den Hochtechnologie-Bereichen steht. Einem kritischen Rückblick auf die bisherige Wirtschafts- und Technologieforschungs- und Förderungspolitik der letzten Jahrzehnte (vom gescheiterten Experiment der" Deutschen Wagnisfinanzierungsgesellschaft" über die Probleme und Fehler der Wiedervereinigung bis zum noch aktuellen TOU-Programm zur Förderung "Technologie-Orientierter Unternehmensgründungen") sowie Berichten aus dem Eldorado neuer Hochtechnologiefirmen des US-amerikanischen Südwestens (mit besonderer Hervorhebung des sogenannten „Venture Capital"-Prinzips) folgt ein Ausblick auf die "Märkte des 21. Jahrhunderts". Sechs Trends, die zugleich Herausforderungen und Chancen für die deutsche Wirtschaft darstellen, werden herausgearbeitet:

1. Die Ausdehnung der industrialisierten Welt (vor allem durch China und Indien), die neue ökologische und ökonomische Anforderungen stellt; 2. der notgedrungen neue Umgang mit Energie (mit Energiespartechnologie als Hoffnungsmarkt); damit zusammenhängend 3. der neue Umgang mit Stoffen sowie die Lösung des Umweltproblems generell, die ebenfalls neue Technologien erfordert; 4. der Wertewandel hin zu qualitativem Konsum; 5. der neu entstehende Gesundheitsmarkt (einschließlich der Chancen und Risiken der Gentechnologie); und schließlich 6. die rasante Informatisierung, die alle Wirtschaftszweige erfasst (als ein Beispiel hierfür wird die elektronisch gesteuerte Verkehrsordnung von morgen ausgeführt).

Die Wissenschaftspolitiker sprechen vom "dritten Wirtschaftswunder des qualitativen Wachstums", das dem der Investitionen der ersten Gründerzeit (Ende des 19. Jahrhunderts) und dem des Massenkonsums nach 1945 folgen wird. Sie gehen von einem erweiterten Industriebegriff aus, der auch "Software und technische Dienstleistungen" enthält; Informatisierung und Internationalisierung, aber zugleich auch Dezentralisierung benennen sie als wichtigste Zukunftstrends, Gründergeist, Risikofreude und Offenheit für Innovationen als attraktive Alternativen zum sich breitmachenden Kultur- bzw. Ökopessimismus. Die "Computer-Kids" und "CD-Rom-Kinder" des 21. Jahrhunderts seien so gesehen nicht Ausdruck des kulturellen Verfalls, sondern die Hoffnungsträger des neuen Fortschritts. Die Autoren entwickeln sehr wohl Gestaltungsvorschläge, die sie - etwa im abschließenden 20Punkte-Programm - auch konkretisieren. Bei aller Zustimmung, dass es mit "Titanic-Gefühl" und "Untergangstrip" nicht getan sein kann, bedarf ihr Technikoptimismus aber doch einer kritischen Bewertung.

H. H.

Glotz, Peter; Thomas, Uwe: Das dritte Wirtschaftswunder. Aufbruch in eine neue Gründerzeit. Düsseldorf (u. a.): Econ, 1994. 303 S., DM 39,80/ sFr 36,60 / ÖS 311