Das Imperium der Rinder

Ausgabe: 2001 | 2

„Wenn wir aus dieser Krise etwas lernen können, dann ist es die Erkenntnis, dass die organisierte Misshandlung von Tieren für uns selbst zu einem ernsten Risiko wird“, so Jeremy Rifkin im aktualisierten Vorwort seines angesichts der BSE-Krise neu aufgelegten „Rinderreports“ (S. 15).  Das 1994 erstmals erschienene Buch hat nichts an Aktualität eingebüßt, es wurde vielmehr von der Wirklichkeit eingeholt und wird   so ist zu hoffen   zum Umdenken beitragen.

Schon 1993 hatte der Autor und Umweltaktivist bei der amerikanischen Ernährungsbehörde das Verbot der Verfütterung vonn Tiermehl an Wiederkäuer eingefordert   ohne Erfolg. „Hätte die amerikanische Regierung schnell reagiert und wäre auf unsere Forderungen eingegangen, hätte sie ein umissverständliches Signal an Großbritaninien und andere Länder geben, sich ebenso zu verhalten   die aktuelle weltweite Krise hätte vermieden werden können.“ (S. 13)

Doch die problematische Fütterungspraxis der Massentierhaltung und ihre Gesundheitsrisiken für den Menschen – es geht nicht nur um BSE: der Autor warnt u.a. vor vor einem in den USA verbreiteten „bovinen Leukämievirus“   sind nur ein kleiner Ausschnitt aus dem Irrweg unserer Fleischkultur, die bereits vor Jahrhunderten ihren Anfang genommen hat. Akribisch beschreibt Rifkin die koloniale Landnahme der Europäer seit dem 17. Jahrhundert, um ihren steigenden Fleischhunger zu stillen. Er schildert die Anfänge der industriellen Fleischverarbeitung und das Entstehen der ersten großen Schlachthöfe, in denen die Tiere auf Schlachtbändern im Sekundentempo demontiert werden. Die „Versachlichung des Tötens“ (S. 87) stellt für den Autor den zentralen Bruch in der Beziehung zwischen Mensch und Tier dar, die in allen älteren Kulturen von tiefer Bedeutung war: „Die Kuh wandelte sich von der Gottheit zur Handelsware“ (S. 45).

Die kulturantropologischen Kapitel zählen übrigens zu den spannendsten des Buches. So informiert der Rifkin etwa über den ganz realen, lebenspraktischen Sinn der „heiligen Kühe“ Indiens: Diese decken den größten Teil des Bedarfs an Milch und Milchprodukten. Ochsen dienen den 60 Millionen Kleinbauern, deren Land 80 Prozent der indischen Bevölkerung ernährt, als Zugtiere. Zudem produzieren die Rinder Indiens jährlich 700 Millionen Tonnen Mist, der zur Düngung des Bodens und als Brennstoff für die Kochstellen dient.

In der sich globalisierenden Fleischkultur   Rifkin spricht in Analogie zum „Weltauto“ vom „Weltstier“ und mit Anspielung auf den militärisch-industriellen Komplex von einem „Rinderkomplex“   sieht der Autor den Hauptgrund für die ökologischen Verwüstungen sowie für die Fortdauer des Hungers in der Welt, der mit dem Futtermittelexport für das Fleisch der Reichen und dem Verlust der Ernährungsautonomie in den Ländern des Südens zusammenhängt. Zur Verdeutlichung ein paar Zahlen aus Rifkins Analysen: An die 1,3 Mrd. Rinder bevölkern heute die Erde. Sie grasen auf etwa einem Viertel der gesamten Landmasse des Planeten, und die Getreidemenge, die sie zusätzlich verschlingen, würde reichen, um einige hundert Millionen Menschen zu ernähren. Zusammengenommen übersteigt ihr Gewicht das der gesamten Erdbevölkerung. Die Nahrung eines Asiaten setzt sich im Durchschnitt zu drei Viertel aus Getreide zusammen, das sind etwa 150 Kilogramm pro Jahr. Ein Durchschnittsamerikaner kommt auf eine Tonne, 80 Prozent davon gehen aber durch die Mägen von Rindern und anderen Tieren. Jugendliche in den USA verzehren im Schnitt 6,2 Hamburger pro Woche, bei Erwachsenen sind es knapp fünf. Rifkins drastischer Kommentar: „EIne Milliarde Menschen schwelgen im Überfluß und stopfen das Fett in sich hinein, nur um es dann mit Hilfe von Abführmitteln schleunigst wieder loszuwerden, während eine weitere Milliarde Menschen nicht einmal die Möglichkeit haben, sich mit dem Minimum dessen zu versorgen, was der Körper zum Leben braucht.“ (S. 145)

Für Rifkin ist die Fleischindustrie „einer der wichtigsten Übungsplätze für die Kunst der modernen Ökonomie“ (S. 255), die in den geplanten Klonungstechniken ihre konsequente Fortsetzung erfährt. Der Autor setzt aber dennoch auf eine Trendumkehr und prognostiziert einen drastischen Rückgang des Fleischkonsums im neuen Jahrhundert, der auch wieder eine  „neue Beziehung zwischen Mensch und Rind“  ermöglichen wird. Wer das Buch liest, hat allen Grund, gleich mit der Umkehr zu beginnen. H. H.

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Unter dem neue Titel „Wege aus der Ernährungskrise“ ist bei Campus der Band „Ernährung in der Wissensgesellschaft“ von José Lutzenberger und Franz-Theo Gottwald (s. PZ 4/99*393) wieder aufgelegt worden.

Rifkin, Jeremy: Das Imperium der Rinder. Der Wahnsinn der Fleischindustrie. Frankfurt/M. (u. a.): Campus, 2001. 281 S.; DM 36,- / sFr 33,40 / öS 263,-