Reichtum und Arbeit demokratisch verteilen

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Deutschland sei in eine Schieflage geraten: Das Bruttosozialprodukt wächst, doch es gelingt nicht, diesen Reichtum gerecht zu verteilen und alle an seiner Produktion zu beteiligen. Dieser Umstand belaste - so die Autoren dieses Bandes - nicht nur die sozial ausgegrenzten Menschen, sondern auch das volkswirtschaftliche Leistungspotential und die Demokratie.

Die Experten - Friedhelm Hengsbach zählt als Leiter des Oswald von Nell-Breuning-Instituts Frankfurt zu den profundesten Kennern deutscher Sozialpolitik; sein Co-Autor ist Mitarbeiter dieses Instituts - belegen ihre These von der sozialen Schieflage Deutschlands zunächst eindrucksvoll mit Fakten und Argumenten, um in der Folge eine Fülle von Reformvorschlägen zu unterbreiten, die an Wirtschaft, Gewerkschaften und Politik gleichermaßen gerichtet sind.

Vor allem geht es den von der Katholischen Soziallehre inspirierten Autoren darum, die Arbeitslosigkeit zu verringern, nicht zuletzt, um damit die Handlungsfähigkeit des verschuldeten Staates wieder zu erhöhen. Sie plädieren für eine aktive Arbeitsmarktpolitik nach dem Motto „Arbeit statt Arbeitslosigkeit finanzieren“, öffentliche Übergangsarbeitsmärkte sind für sie dabei ebenso denkbar wie Lohnsubventionen für personennahe Dienstleistungen, die am Markt nicht bestehen können. Notwendig sei aber auch eine Steuerreform, die den Faktor Arbeit ent- und den Energie- und Ressourcenverbrauch belastet. Überdies plädieren die Sozialexperten dafür, die steuerliche Bemessungsgrundlage der Unternehmen an deren Nettowertschöpfung festzumachen, um die Benachteiligung arbeitsintensiver Branchen aufzuheben. Sie fordern aber auch eine „solidarische Tarifpolitik“ der Gewerkschaften, also eine „Umverteilung innerhalb der Klasse“, gekoppelt etwa an weitere Arbeitszeitverkürzungen mit differenzierten Lohnausgleichen.

Die Entkoppelung von Arbeit und Einkommen könnte durch „handelbare Anrechte auf Erwerbsarbeit“ - jedeR Erwerbswillige, dem/der keine Arbeit angeboten werden kann, hat das Recht auf Entgelt - oder durch ein „arbeitsfreies“ Bürgereinkommen eingeleitet werden. Die Autoren plädieren weiters für die Gleichverteilung des „Arbeitsmarktrisikos Kind“ durch verpflichtende Inanspruchnahme von Karenzzeiten für beide Geschlechter. Den Erziehungsurlaub wollen sie in ein flexibleres „Zeitkonto für Erziehungsarbeit“ umgewandelt sehen.

Eine „solidarische Alterssicherung“ könnte nach den Sozialexperten durch die Ausweitung der Versicherungspflichten auf Unternehmer, Selbständige und Freie Berufe, den Aufbau eines Kapitalstocks bei der Gesetzlichen Rentenversicherung (etwa aus Mitteln einer erhöhten Erbschaftssteuer) sowie die Einführung von Mindest- und Höchstrenten erreicht werden. Auch die verbesserte Anerkennung von Kindererziehung und ehrenamtlichem Engagement für die Rentenversicherung wird empfohlen. Die „Umverteilung zugunsten nachwachsender Generationen“ ließe sich - so die Autoren - durch eine zielgenauere Förderung einkommensschwacher Haushalte fördern. Überlegenswert erscheint schließlich der Vorschlag zur Vereinheitlichung der Kinderzuschläge (Leistungen aus dem Familienlastenausgleichsfond) nach dem Modell der negativen Einkommenssteuer: einkommensschwache Haushalte mit Kindern erhalten demnach einen Bonus, bei einkommensstarken Haushalten heben sich Steuer und Zuwendungen tendenziell auf, kinderlose Haushalte werden durch einen Zuschlag zur Einkommenssteuer an den Lasten der Kindererziehung beteiligt.

Die Reformvorschläge zielen - nicht zuletzt aus demokratiepolitischen Überlegungen - auf die Teilhabe aller am wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Geschehen; und sie befürworten die solidarische Heranziehung aller Einkommen - aus selbständiger und unselbständiger Tätigkeit, aus Unternehmensgewinnen und Vermögen - für die Finanzierung der Sozialleistungen. Ersteres wird zumindest verbal wohl bei allen Zustimmung finden, nicht so der Appell zu einem neuen Verteilungsschlüssel  - zum Leidwesen einer fortschrittlichen Sozialpolitik. H. H.

Hengsbach, Friedhelm; Möhring-Hesse, Matthias: Aus der Schieflage heraus. Demokratische Verteilung von Reichtum und Arbeit. Bonn: Dietz, 1999. 208 S., DM 19,80 / sFr 19,80 / öS 145,-