Quellen Bürgerschaftlichen Engagements

Ausgabe: 2008 | 1

Die erkenntnisleitende Frage dieser Untersuchung ist eine scheinbar einfache, und hat doch im Fach der Soziologie zu durchaus unterschiedlichen Antworten Anlass gegeben. „Was bringt“, so das an der Universität Jena tätige Autorentrio, „Menschen tatsächlich dazu, sich für etwas zu engagieren, von dem sie selbst augenscheinlich keinen unmittelbaren Nutzen erwarten dürfen?“ (S. 9). Um darauf eine plausible und tragfähige Antwort zu geben, nähern sich die Verfasser in zweifacher Hinsicht den „Quellen“ Bügerschaftlichen Engagements (BE). Zum einen, indem sie – Charles Taylor folgend – die „Hintergrundüberzeugungen, grundlegenden Werte und Einstellungen“, die Menschen nicht von ihrer natürlichen Veranlagung, sondern von ihrer biografischen Entwicklung her erfahren, als Grundlage von BE ansehen. Um diesen Ansatz abzusichern, wählen sie zum anderen die Methode der empirischen Befragung. In insgesamt vier mittelgroßen Städten Ost- und Westdeutschlands (Dessau, Jena, Göttingen u. Wilhelmshaven) wurden neben rund 60 Expertengesprächen an die 80 biographisch-narrative Interviews mit Personen geführt, die sich in der lokalen Kulturpflege, der Jugendarbeit, als Schöffen oder in Initiativen für eine global solidarische Entwicklung freiwillig engagieren (zur Methode S. 42f.).

 

Nach einer knappen Bestimmung zentraler Elemente von BE (freiwillig, nicht bezahlt, im öffentlich Raum sowie in Konstanz und Erwartbarkeit vollzogen und zumindest mittelbar durch Gemeinwohlbezug gekennzeichnet), werden im Kontext des Themas mit dem Liberalismus, dem Kommunitarismus, der Deliberativen Demokratie und dem Komplexen Politiksystem vier „Konzeptualisierung des Politischen in der Spät-Moderne“ diskutiert und zu insgesamt 10 Hypothesen zu BE zusammengefasst: Unter anderem, so der Befund, nimmt bei sinkender Vollerwerbstätigkeit, die Relevanz von BE zu, ist aber nicht als Nachweis politisch-bürgerschaftlicher Emanzipation zu verstehen. Vielmehr sind der Prozess der Individualisierung und das Vorliegen bestimmter Persönlichkeitsfaktoren entscheidend. Ein hohes Maß an Sozialkapital, aber ebenso die Erwartung indirekter Einflussnahme in eigenem Interesse begünstigen zudem die Bereitschaft zu freiwilligem Engagement.

 

Als zentrales Ergebnis ihrer Befragung stellen die Verfasser die Existenz eines „Wir-Sinns“ heraus, unter dem sie die „Sensibilität eines Akteurs für eine spezifische Form sozialer Praxis“ verstehen (S. 32ff.). Während im Wir-Sinn soziales Engagement gewissermaßen intentional angelegt ist, findet – so die Autoren – die konkrete politische Ausrichtung im Gemeinsinn ihren Ausdruck. Die „Fokussierung der Lebenspraxis“ (S. 35) – so ein weiterer Eckstein des bis in schwindelnde Höhen aufgerichteten Theoriegebäudes – findet in „der „Struktur des praktischen Selbstverständnisses“ ihren Ausdruck (S. 35). Was an gleicher Stelle auch „Selbstbekümmerung eines Menschen“ genannt wird, könnte schlicht und allgemein verständlich auch Motiv für soziales Tätigsein genannt werden. Dass diese selbst in ein und demselben Feld sehr unterschiedlich sein kann, machen die im Zentrum der Studie stehenden Interviews deutlich.

 

Im Bereich der Jungenarbeit Tätige nennen etwa persönliche Missachtung, die Erfahrung und Vermittlung von Geborgenheit oder den Wunsch nach Auslotung von Autonomieräumen als Grund für ihr Engagement. Der „Sinn für ein Wir, das Fremde wie Gleiche einbezieht“ wird u. a. als Grund für den Einsatz um globale Solidarität genannt. Der „Sinn für das Wir zwischen den Generationen“, „Heimatpflege als Bezug zur Lebensmitte“ oder als „Reinterpretation des Lebenszusammenhangs“ motiviert zu traditioneller Kulturpflege. Der Soziokultur fühlen sich den Aussagen folgend vor allem Personen verbunden, denen es um „Wiederherstellung von Sozialibität“ oder um Selbstbestimmung zu tun ist. Wenig überraschend ist es jenen, die sich als Schöffen engagieren, ein zentrales Anliegen, zu einer „gerechten Ordnung beizutragen“, womit freilich auch darauf abgezielt werden kann, persönlich erfahrener „Unordnung“ entgegenzuwirken.

 

„Wir-Sinn“ und „fokussierte Motive“, so das zusammenfassende Ergebnis, sind als Bedingung für BE eng mit einander verbunden, fehlt hingegen einer der Bedingungskomplexe, „verringert das die Wahrscheinlichkeit, dass ein Bürgerschaftliches Engagement dauerhaft ausgeübt wird.“ W. Sp.

 

Corsten, Michael; Kauppert, Michael; Rosa, Hartmut: Quellen Bürgerschaftlichen Engagements. Wiesbaden: Verl. d. Sozialwiss., 2008. 241 S., € 29,90 [D], 30,80 [A], sFr 52,35

 

ISBN 978-3-531-15570-8