Über Postwachstumspolitiken

Ausgabe: 2018 | 2
Über Postwachstumspolitiken

PostwachstumspolitikenEine Vielzahl an Aspekten im Kontext wachstumsunabhängiger Gesellschaften versammelt ein von Frank Adler und Ulrich Schachtschneider herausgegebener Band. Thematisiert werden etwa „neue Formen des Wohlstands“ in einer „transformatorischen Demokratie (U. Brand), die Chancen und Gefahren des Subsistenzansatzes (F. Ekhart, U. v. Winterfeld), der „fatale Zusammenhang von Eigenliebe, Meritokratie und Kapitalismus“ (D. Comtesse unter Bezugnahme auf Rousseau), die nötigen „mentalen Strukturen“ für Degrowth-Politik (C. Sanders unter Bezugnahme auf H. Rosa und M. Hosang aus Sicht der humanistischen Psychologie), die Rolle von „Zeit-hygiene“ und „Zeitpolitik“ (F. Reheis) oder ein Neudenken von Zusammenleben und Gemeinschaft (F. Adloff unter Bezugnahme auf ein in Frankreich verbreitetes „konvivialistisches Manifest“, das sich gegen das utilitaristische Wachstumsdenken der Moderne richtet). Berichtet wird auch von nicht wachstumsabhängigen Unternehmen (J. Gebiel u. a.), von einer anderen Stadt- und Bauentwicklung  (D. Fuhrhop) sowie einer Neugestaltung der Finanzordnung und dem „archimedischen Punkt“ der Geldschöpfung. H. Peukert hegt Sympathien für eine Vollgeldreform, fordert aber näher Liegendes wie Verbote etwa von die Spekulation anheizenden CDFs, also Kreditausfallsversicherungen, sowie die Zerschlagung zu großer Banken.

Der Zugang zu Arbeit muss sich ändern

Mehrere Beiträge tangieren – was naheliegt – auch den Bereich einer zukünftigen Arbeitswelt. Im technischen Fortschritt mit seiner Kostendynamik (Kapitalintensität, Arbeitskosten) sowie „technologischer Arbeitslosigkeit“ verorten Oliver Richter und Andreas Siemoneit die Hauptursache für das „grow or die“ des Kapitalismus sowie für staatliche Wachstumspolitik. In der „Deckelung von Ressourcenverbrauch und von Vermögen“ (S. 169) sehen die beiden die zentralen, in ihren Augen völlig marktwirtschaftskonformen Politikmaßnahmen, um destruktiven Zwängen entgegenzuwirken. Steffen Liebig und Kollegen unterscheiden in ihrem Beitrag zwei Debattenstränge der Postwachstumsbewegung: jene die an der „modernen Verfasstheit von Arbeit als Lohnarbeit“ (S. 83) festhalten und deren Re-Regulierung fordern, sowie jene die eine Akzentverschiebung hin zu Tätigkeiten jenseits der Erwerbsarbeit vorschlagen – in den Augen der Autoren mit der Gefahr einer „Re-Traditionalisierung“ der Arbeit (S. 183ff.). Da neun Zehntel der Erwerbstätigen in den Ländern des Nordens von Erwerbsarbeit abhängen, bei Umweltproblemen aufgrund unterschiedlicher Betroffenheiten kein „Wir“ gegeben sei und alternative Vorstellungen von „Mikro-Produktionsweisen“ wie Solidarische Landwirtschaft oder Repair-Cafes ein „Skalierungsproblem“ (S. 187) aufweisen, also auf Nischen beschränkt bleiben würden, sehen die Autoren nur in strukturellen Maßnahmen Chancen auf Veränderung in Richtung Postwachstum. Dabei nennen sie v. a. allgemeine Arbeitszeitverkürzungen, wie sie etwa die Initiative „Arbeit fairteilen“ fordert (im Beitrag bei vollem Lohnausgleich nur für die unteren und mittleren Einkommen), Konzepte des „Lebensphasenansatzes“ temporärer Arbeitszeitverkürzungen etwa in der Familienphase (S. 189), eine „Politik der Entprekarisierung“ sowie Maßnahmen für den „gezielten sektoralen Wandel“ hin zu Dienstleistungen (S. 190).

Selbsthilfegruppen und bedingungsloses Grundeinkommen

Eva Lang und Theresia Wintergerst wiederum gehen vom Ansatz einer „Komplementärökonomie“ (S. 269) aus, bestehend aus Haushaltswirtschaft, gewinnorientierter Marktwirtschaft, Staatswirtschaft, Sozialwirtschaft und schließlich „Zivilgesellschaftswirtschaft“ (umfasst Ehrenamt, Tauschkreise u. ä.). Die Sektoren würden einander ergänzen und teilweise überlappen, doch nur die profitorientierte „Marktwirtschaft“ sei wachstums- getrieben, die übrigen basierten auf „bedarfsgerechter Aufgabenerfüllung“ (ebd.). Sorgearbeit werde zukünftig stärker monetarisiert, erfordere aber andere Handlungslogiken, etwa ein „multiples Zeitverständnis“ (S. 272), das sich alleinigen Effizienzkriterien entziehe. Zugleich plädieren die Autorinnen aber dafür, informelle Sorgetätigkeiten, Selbsthilfegruppen oder neue Formen wie „Kranken- und Altenpflege auf Gegenseitigkeit“ zu fördern, gesellschaftlich aufzuwerten und auch in die volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen aufzunehmen.

Einen weiteren derzeit an Öffentlichkeit gewinnenden Ansatz bringt schließlich Mitherausgeber Ulrich Schachtschneider ein: das bedingungslose Grundeinkommen. Unter Bezugnahme auf Erich Fromm plädiert der Sozialwissenschaftler für eine Überwindung von „Produktivismus“ und „Konsumismus“, die in der derzeitigen Form Sackgassen seien. Ein Grundeinkommen könnte dem abhelfen und sollte schrittweise eingeführt werden, finanziert aus Ökosteuern. Schachtschneider spricht daher von einem „Ökologischen Grundeinkommen“ (S. 202).

Resümee: Ein wertvoller Band, der viele Aspekte eines Übergangs zu Postwachstumsgesellschaften skizziert.        Hans Holzinger

 

Postwachstumspolitiken. Wege zur wachstums-unabhängigen Gesellschaft. Hrsg. v. Frank Adler ... München: oekom, 2017. 324 S., € 24,95 [D], 25,70 [A] ISBN 978-3-86581-823-2