Josef Alkatout

Ohne Prozess

Ausgabe: 2019 | 3
Ohne Prozess

Den „Krieg gegen den Terror“ und die damit einhergehenden Menschenrechtsverletzungen thematisiert der Jurist Josef Alkatout auf sehr eindringliche Weise, indem er die Geschichten der Opfer dieses Kampfes in den Vordergrund stellt.

Der „Krieg gegen den Terror“ hat seine Wurzeln in den Anschlägen des 11. Septembers 2001. Die daraufhin eingeführten präsidentiellen Vollmachten führten zu einer beispiellosen Entrechtung von Terrorverdächtigen – inklusive Inhaftierungen ohne Anklage und Rechtsbeistand sowie politisch gedeckter Folter. Dies hat laut Alkatout weitreichende Folgen: „Die fehlende Bestrafung der amerikanischen Täter, oder gar deren Beförderung, ist nicht nur den bereits existierenden Opfern gegenüber bedenklich. Sie setzt die Ausgangslage für künftige Generationen möglicher Betroffener, denen ein amerikanischer CIA-Beamter begegnet, fest. Dieser wird sich seiner sicher sein, Folter anwenden zu können, ohne dafür bestraft zu werden“ (S. 24). Ebenso schwer wiegt die Tatsache, dass der von den USA und deren Verbündeten begangene Rechtsbruch korrupte und diktatorische Regime geradezu ermutigt, ihre bislang zumindest versteckten Praktiken fortzuführen oder gar auszubauen.

Besonders bedrückend ist, dass die amerikanische Justiz den entrechteten Personen nicht beisteht: Zwar streichen namhafte JuristInnen immer wieder heraus, dass aktuelle Anti-Terror-Praktiken völlig im Gegensatz zum Rechtsstaat stehen, doch hat der Oberste Gerichtshof einschlägigen Beschwerden selten stattgegeben, vor allem wenn es um Guantánamo-Insassen ging. Als sich herausstellte, dass ein Großteil der Insassen auf Grund fehlerhafter Ermittlungen, Verdächtigungen oder Denunziation unschuldig in Guantánamo einsitzt, konnte man sich dennoch nicht zu deren Freilassung durchringen: Zu groß war dann doch die Angst vor Rache. (vgl. S. 65)

Drohnen als neue Form des Krieges

Ein Blick auf das internationale Kriegsrecht und die Internationale Menschenrechtskonvention zeigt, wie weit sich die USA, aber auch ihre europäischen Verbündeten, von ihren einstigen Grundsätzen entfernt haben. Ein besonders großes Problem sind dabei die Tötungen von vermeintlichen TerroristInnen durch Drohnen, die oft unpräzise sind und viele zivile Opfer fordern. Vor allem stellen Drohnen alles in Frage, was die Verrechtlichung des Krieges durch die Genfer Konventionen geschaffen hat – und was seit Jahrtausenden in Kriegen als moralische Standards anerkannt wird: Militärische Notwendigkeit einer Operation, Verhältnismäßigkeit, die Unterscheidung von KombattantInnen und ZivilistInnen, die Gnadenregel, das Ablehnen von Heimtücke.

Die Argumente, dass man mit Drohnen auf neue Formen des Krieges mit vor allem irregulären Streitkräften reagieren könnte und dass sich größere Kriegsschäden vermeiden ließen, lassen sich weitergehend empirisch widerlegen: „Die Militärexperten der Washingtoner Publikation Foreign Policy kommen zu dem Schluss, dass Drohnenangriffe außerhalb von Kriegsgebieten 35 Mal mehr Zivilisten zum Opfer haben als Luftangriffe bemannter Flugzeuge in herkömmlichen bewaffneten Konflikten wie in Irak, Syrien oder Afghanistan. Auch eine vom Vereinigten Generalstab der US-Streitkräfte in Auftrag gegebene unabhängige Studie vom Juni 2013 bestätigt, dass Drohnen mindestens zehn Mal so viele zivile Opfer verursachen wie Kampfjets“ (S. 122). Doch sind Drohnen billiger, zeiteffizient, die operativen Einsätze können ausgelagert werden, man riskiert nur das Leben der „Feinde“. Damit bleibt nur diese eine Bilanz: „Drohnenangriffe umgehen den Rechtsstaat. Ein Rechtsstaat, den unsere Vorfahren ihren Herrschern mühsam abgerungen haben und für dessen Verteidigung viel Blut geflossen ist“ (S. 127). Außerdem lässt der Krieg gegen den Terror die Welt unsicherer werden. Anstelle Radikalismus zu bekämpfen, mobilisiert er junge Personen gegen den Westen.

Was die Zukunft anbelangt, bleibt Alkatout ambivalent: Einerseits weist nichts darauf hin, dass sich die Situation für die entrechteten „Feinde“ des Westens bald verbessern könnte. Der Drohnenkrieg stößt im Westen kaum auf Kritik. Gleichzeitig gibt es die StaatsanwältInnen und PolizistInnen, die Terrorverdächtigten mit rechtsstaatlichen Mitteln entgegentreten und damit zeigen, dass man Terror legal bekämpfen kann. Und im Nahen Osten gibt es Bemühungen, beispielsweise die Verbrechen des IS in rechtsstaatlicher Manier aufzuarbeiten – so, wie es bei den Nürnberger Prozessen geschah, an die man sich im Westen offenbar nicht mehr erinnern will. Der Autor zeigt Verständnis für die muslimische Wut gegen den Westen angesichts all des Leids, ohne zugleich Terror zu verharmlosen. Terror muss bekämpft werden – und der liberale Rechtsstaat hat dazu alle Mittel. Man muss ihn nur gewähren lassen.