Öffentliches Geld

Ausgabe: 2013 | 3

Im November 2009, ein Jahr nach dem Zusammenbruch von Lehman Brothers, belief sich die gesamte staatliche Unterstützung für den Bankensektor weltweit auf 14 Billionen Dollar, was über 25 Prozent der weltweiten Wirtschaftsleistung entspricht. Zahlen, die die Geiselhaft der Politik durch die Finanzwirtschaft mehr als deutlich machen. Diese zu brechen, ist Anliegen eines Buches mit dem etwas irritierenden Titel „Geld, die wahre Geschichte“ – ist der Anspruch an „Wahrheit“ in der Wissenschaft ja legitimierweise verpönt. Doch der englische Originaltitel „Money. The Unauthorized Biography“ macht deutlich, worum es dem britischen Ökonomen Felix Martin geht (und dass die Übersetzung also unglücklich gewählt ist): um eine Geschichte des Geldes. Auf über 400 Seiten breitet Martin, Mitarbeiter am Institute for New Economic Thinking, die Entwicklung des Geldes von der „ägäischen Erfindung des ökonomischen Wertbegriffs“ in der Antike bis herauf zur Ausbreitung des heutigen Kapitalismus aus. Uns interessieren hier jedoch vornehmlich die letzten hundert Seiten, die der Finanzkrise seit 2008 gewidmet sind – und ein Rückgriff auf das 17. Jahrhundert in England, in dem das Königshaus erstmals den aufkommenden Bankiers Mitspracherechte bei der Geldschöpfung eingeräumt hatte. Der Autor spricht von der „Großen Monetären Übereinkunft“. Der Grund lag im Umstand, dass die britische Krone Geld brauchte, um die leeren Kriegskassen wieder zu füllen (gemeinsam mit Holland stand man im Krieg gegen Frankreich). Die „Große Monetäre Übereinkunft“ habe den Banken Einfluss auf die Geldpolitik gesichert (und die Bank of England ist ja noch immer in Besitz der Privatbanken). In den letzten Jahrzehnten habe sich, so Martins zentrale These, das Schwergewicht des Einflusses immer stärker auf die Seite der Finanzmarktakteure verlagert. Ein Umstand, der mit der staatlichen Rettung von Bankinstituten nochmals verschärft worden sei.

Martin geht davon aus, dass die gegenwärtigen Regulierungsversuche (er spricht von „konventioneller Kriegsführung“) eine Sisyphusarbeit sei: „Das Bestreben, den Finanzsektor zu beaufsichtigen, ist vergebliche Liebesmüh“ (S. 338). Worin liegt für den Experten nun ein „realistischer Vorschlag zur Bankenreform, der diesen gewaltigen Anforderungen genügt?“ (ebd.) Martin sieht diesen im gut 80 Jahre alten Vorschlag des amerikanischen Ökonomen Irving Fisher: der Einführung von Voll- bzw. 100 Prozent-Geld. Jede Einlage, die auf Aufforderung abgehoben oder zur Zahlung verwendet werden kann, soll mit Staatsgeld gedeckt werden – und Banken, die solche Einlagen anbieten, sollte es  nicht erlaubt sein, irgendwelche anderen Geschäfte zu tätigen. Die Sichteinlagen würden zu Inhabergeld, das ihren Einlegern gehört, diese „Scheckbanken“ erhielten eine eigene rechtliche Existenz. Alle übrigen Geschäftstätigkeiten der Banken würden dem freien Markt überlassen, erhielten weder staatliche Unterstützung noch Absicherungszusagen. „Die Vergemeinschaftung finanzieller Risiken würde nicht beseitigt, aber viel stärker eingeschränkt. Die dem öffentlichen Interesse dienenden, gesellschaftlich nützlichen Aktivitäten (Zahlungsdienstleistungen) der ´Narrow Banks´[so der Begriff Fishers, HH] würden staatlich abgesichert. Nicht dagegen alle anderen Finanzinstitute.“ (S. 340) Das „undurchsichtige Niemandsland“ und die „Liquiditätsillusion“ des gegenwärtigen Systems würden beseitigt. Geld sei keine physische Größe, sondern ein soziales Instrument, meint Martin. Das eigentliche Ziel der Geldpolitik seien daher nicht Geldwert- und Finanzmarktstabilität, „sondern eine gerechte Gesellschaft und ein allgemeiner Wohlstand“ (S. 353). Statt weiterhin „Symptombehandlung“ zu betreiben, sei eine „Radikaloperation“ nötig, diese käme aber keiner sozialistischen Revolution gleich, im Gegenteil „sie soll eine verhindern“ (S. 359).

Aus dieser Begrenzung des Geldwesens erhofft Martin eine Vereinfachung des Finanzsystems, eine Reduzierung der Regulierungen, aber auch eine Verringerung des Anreizes, „alles über Geld zu vermitteln“ (S. 356). Martin fordert schließlich auch eine Reform der Volkswirtschaftslehre, die das Geldwesen ernster nimmt als dies bisher der Fall ist.

Hans Holzinger

 

„Wenn wir Heuschrecken in Bienen verwandeln wollen, müssen wir das Bankensystem radikal reformieren.“ (Martin, S. 337)

 

„Nicht das Experimentieren mit dem alternativen Verständnis von Geld birgt das Risiko, eine Revolution auszulösen - es ist das Festhalten am konventionellen Verständnis.“ (Martin, S. 360)

 

 

Martin, Felix: Geld, die wahre Geschichte. Über den blinden Fleck des Kapitalismus. München: DVA, 2014. 427 S. € 22,99 [D] | € 23,70 [A] | sFr 32,90ISBN 978-3-421-04592-8