Neue Produktivkräfte: Spiritualität, Kommunikation, Design, Wissen

Ausgabe: 1999 | 4

Unsere Zukunft liegt, so der Kommunikationstheoretiker Norbert Bolz, in der Wirtschaft des Unsichtbaren. Ein erfolgreiches Produkt zeichnet sich nicht mehr durch seine dinglichen Eigenschaften, sondern durch sogenannte “soft facts” wie Image, Lebensgefühl oder Stil aus.

Auf der Suche nach den Gestaltungsspielräumen der Märkte der Zukunft gilt das Hauptinteresse dem Kaufverhalten des “postökonomischen” Kunden, das durch “Wünsche zweiter Ordnung” bestimmt wird. Das Paradies, die Traumfrau, den Weltruhm gibt es eben nur im Film oder im Hochglanzmagazin. Wenn also Wünsche nicht durch reale Objekte befriedigt werden können, so Bolz, “muß man ein Begehren nach Gütern zweiten Grades ködern” (S. 165). Die Aufgaben des Marketing verlagern sich demnach auf die Entwicklung von Wünschen. “Erst nachdem ich das Handy gekauft habe, weiß ich, daß ich ohne Handy nicht mehr leben konnte.” (S. 164)

Ausgehend von Megatrends wie Globalisierung, Immaterialisierung, Wissensgesellschaft und Weltkommunikation unterscheidet Bolz in seiner Analyse der Produktivkräfte des 21. Jahrhunderts zwischen Wunsch und Bedürfnis, zwischen Mode und Trend sowie zwischen Erlebnis- und Sinngesellschaft (vgl. dazu Norbert Bolz: Die Sinngesellschaft, 1997). Kritisch wie bereits in seinem letzten Werk (Die Konformisten des Andersseins, 1999) nähert sich der Autor den Konkurrenten auf dem Gebiet der Trendprognose. Unser “Blindflug in die Zukunft” (noch nie wußte man so wenig von der Zukunft wie heute) wird, so der Autor, begleitet von Prognosen, die die Funktion haben, die Risikobereitschaft der Wirtschaft und Politik zu steigern. Zukunft, so der Autor, kann man nicht prognostizieren, sondern nur provozieren. Anstatt die Zukunft also voraussagen zu wollen, wäre es vernünftiger, die Ungewißheit und Komplexität zu aktzeptieren. “Und hier ist eine Politik des Sichdurchwurstelns viel erfolgreicher als die Strategie der Nachhaltigkeit und Antizipation.” (S. 205) Das Hohe Lied auf das Unvollständige, die Vielfalt, das “nur Zufriedenstellende” mündet schließlich in einer Analyse des Geldes als “Sicherheitszone in einer chaotischen Welt”. Geld, so Bolz, “entlastet die Gesellschaft von Menschlichkeiten wie Haß und Gewalt” (S. 207), ist in einem nicht unerheblichen Maß aber auch deren Motor.

Bei seinem Blick auf die Wissensgesellschaft beklagt der Autor die sich immer weiter öffnende Schere zwischen dem technisch Möglichen und der immer knapper werdenden Zeit: “Man muß immer mehr Lebenszeit dafür abzweigen, daß man auf dem laufenden bleibt.” (S. 32)

Schließlich geht er vorausblickend von einer Duplizierung des Internets im Sinne der absoluten Informationsfreiheit aus, weil es als radikaldemokratisches Kommunikationsmedium für den Kapitalismus uninteressant ist. Demnach werde es in absehbarer Zeit ein “Internet I” für “serious business” und ein “Internet II” für den Rest der Welt (“stupid stuff”) geben.

Bolz liefert in seinem zweiten Buch des Jahres 1999(!) wieder interessante, diskussionswürdige Thesen, wobei sich Wiederholungen in Grenzen halten.

A. A.

Bolz, Norbert: Die Wirtschaft des Unsichtbaren. Spiritualität - Kommunikation - Design - Wissen: Die Produktivkräfte des 21. Jahrhunderts. München: Econ-Verl., 1999. 240 S., DM 49,90 / sFr 46,- / öS 358,-