Bernd Riexinger

Neue Klassenpolitik

Ausgabe: 2019 | 4
Neue Klassenpolitik
Solidarität der Vielen statt Herrschaft der Wenigen

Die gegenwärtige Stärkung der Marktwirtschaft auf Kosten anderer Formen des Austausches in der Gesellschaft würde Karl Polanyi als dritte Welle der Marktdurchsetzung beschreiben. Nancy Fraser würde die Frage stellen, wo diesmal, wie bei den ersten beiden Wellen, die Gegenbewegung bleibt. Und sie würde meinen, dass es diesmal eine Dreierkonstellation gibt: Die Bewegung zugunsten des Marktes, zweitens die von Polanyi erwartete Reaktion zum Schutz der Gesellschaft vor dem Markt und drittens das Interesse, beim Zugang zum Markt nicht diskriminiert zu werden. Glucksmann und vor allem Stegemann kritisieren die Effekte der Bewegung derer, die den nicht-diskriminierten Zugang mit Hilfe von neuen Identitätskonstruktionen erkämpfen – auch um den Preis, dass diese essentialistisch würden und damit nicht mehr in einer Gesellschaft der Gleichen Platz finden.

Bernd Riexinger ist Vorsitzender der Partei „Die Linke“ in Deutschland, kommt aus der Gewerkschaftsbewegung, und sieht diese Kritik an den neuen Emanzipationspolitiken ungern. Für ihn ist klar, dass nur ein Zusammenwirken von Bewegungen, die für Gleichstellung eintreten mit den hier als Emanzipationsbewegungen bezeichneten Gruppen, erfolgversprechend sein kann. „Während Bernd Stegemann unter anderem kritisiert, der Linksliberalismus habe die Klassenfrage zugunsten von Identitätsfragen verdrängt, trifft das einen rationalen Kern, aber führt doch in die Irre. (...) Die Aufgabe der Linken ist es nicht, den Einsatz für Minderheiten gegen die Klassenfrage auszuspielen, sondern Emanzipationskämpfe der Menschen zu unterstützen und in der gesellschaftlichen Debatte die Grenze des Liberalismus deutlich zu machen: Formale Rechte sind noch lange nicht materiell verwirklicht – und sie können unter den gegebenen neoliberalen und kapitalistischen Bedingungen eben nicht für alle verwirklicht werden.“ (S. 89) „Die Kämpfe gegen rassistische Gewalt und Gewalt gegen Frauen, für das Bleiberecht von Verfolgten und für geschlechtliche und sexuelle Selbstbestimmung gehen nicht nur die Betroffenen an. Sie sind Teil des Klassenkampfes – der einen wie der anderen Seite.“ (S. 91)

Riexinger meint, dass die Ausdifferenzierung der Gesellschaft nicht überschätzt werden dürfe, Herausforderungen würden viele wieder in ähnliche Situationen bringen. Man denke an die Digitalisierung, die in vielen Lebensbereichen und Branchen dieselben Herausforderungen aufwerfe. Riexinger sucht das verbindende Programm und schlägt ein neues Normalarbeitsverhältnis vor. Dieses solle ein gutes Leben ermöglichen, Zukunftsplanung erlauben, Arbeit dabei nicht wichtiger als das Leben sein; die Arbeit solle gerecht verteilt sein und somit Dauerstress und Erwerbslosigkeit verhindern und in demokratische Strukturen eingebettet sein. (S. 131ff.)