Sven Hillenkamp

Negative Moderne

Ausgabe: 2019 | 2
Negative Moderne

„Ich bin nichts wert.“ „Ich habe noch nichts erreicht.“ „Ich bin Niemand.“ Werden solche Sätze häufiger? Was haben sie gemeinsam? Hier setzt Sven Hillenkamp an. Er versucht zu verstehen, warum aus seiner Sicht immer mehr Menschen Sätze über ihr Leben formulieren, in denen es um das „Ausbleiben, Verschwundensein, Unmöglichsein, Fehlen von etwas“ geht. Es geht um Negativität, die sich im Denken und Handeln von Menschen verrät. „Alle diese Redensarten zeigen defiziente Modi der Verwicklung an, defizient bis zu einem Grad, dass bloß noch vom Wunsch, vom Nachdenken über (…) die Rede ist, gar nicht mehr von der Verwirklichung.“ (S. 17)

Hillenkamp spricht von der „Negativen Moderne“ und er nennt sie das zweite Gesicht unserer Welt, neben der Positiven Moderne, in der alles beschleunigt, verbessert, übererfüllt und gesteigert wird. In der Negativen Modern herrscht Leere, wo Fülle war. Woher kommt dieses zweite Gesicht der Moderne, das nach der Positiven Moderne erschien und nun parallel unsere Realität ausmacht. Hillenkamp meint, dass die klassischen Erklärungen für Entwicklungen der Moderne hier nicht greifen. Die Negative Moderne könne nicht ausreichend mit ökonomischen Theorien, diskursiven/institutionellen und technischen/medialen Strukturen erklärt werden.

Alles was die Negative Moderne ausmacht, kommt laut Hillenkamp in einer Situation zusammen, die er den „Sturz ins Nichts“ nennt. Menschen, die sich in einer Situation befinden, wo sie die Achtung vor ihrer eigenen Arbeit und sich selbst verlieren, wo sich Tag und Nacht nicht mehr unterscheiden, nicht Werk- noch Feiertage dem Leben Konturen geben;  die Metapher des Breis wird bemüht. Das Leben wird entstrukturiert. Man hält nichts Vergangenes für erwähnenswert, nicht Gewünschtes für möglich und man sieht für sich keine Zukunft. „Die eigentliche Katastrophe der Freiheit besteht in den weitreichenden Konsequenzen dieser Situation. Diese Konsequenzen zeigen sich in der – jeder Subjektivität vorgelagerten – Passivität. Es sind, wie beschrieben, der Sturz in die Wertlosigkeit und die entstrukturierte Zeit, die Koppelung von Denken und Handeln ans – meist negative – Innenleben – und damit die Unmöglichkeit, der gewünschten Aktivität –, die Unendlichkeit des Möglichen als Nichts des Wirklichen sowie das Nichts des Anderen, der Objekte und Elemente, die soziale und körperliche Deprivation.“ (S. 370)