Nationalismus nach Ende des "realen" Sozialismus

Ausgabe: 1994 | 3

"Die Internationale des Kapitals", so Jürgen Elsässer in seinem Beitrag, "hat sich zu Tode gesiegt und setzt - kaum ist der einigende Gegner gefallen - die konkurrierenden ökonomischen Kräfte als antagonistische Nationalismen frei." Seit dem Zusammenbruch des "realen" Sozialismus häufen sich regionale Kriege in Osteuropa. deren Territorial- und Machtkämpfe zwischen rivalisierenden Ethnien zur Ideologie des Nationalismus und der nationalen Selbstbestimmung stilisiert werden, ohne dass es eine konsensfähige Theorie und Praxis dessen gibt, was eine Nation ist bzw. wie und von wem nationale Selbstbestimmung legitim in Anspruch genommen und exekutiert werden kann.

Für keine Nation sind - so eine weitere These von Elsässer - ethnische Homogenität und territoriale Kontinuität belegbar; vielmehr sind Nationen politisch-historische Konstrukte aus verschiedenen gentilen Gruppen. Die Autorinnen dieses Buches analysieren die Geschichte europäischer Nationalismen sowie die Ursachen ihrer gegenwärtigen Renaissance und entlarven sie, die oft als Voraussetzung für souveräne nationalstaatliche Demokratien interpretiert werden, als aus wechselseitiger ökonomischer Unterdrückung resultierende Prozesse mit zunehmend faschistoiden Zügen.

Der Beitrag von Knut Mellenthin über die ehemalige UdSSR zeigt, wie Nationalismus soziale Unzufriedenheit politisch instrumentalisiert. Durch ihn soll das politische Primat wiedererlangt und die ökonomische Peripherisierung Osteuropas überwunden werden. Nationalismus als Versuch, aus der Randlage des Weltsystems auszubrechen, setzt innere ökonomische Deformationen und demokratiepolitische Defizite fort, forciert wirtschaftliche Desintegration, kulturelle Orientierungslosigkeit, politische Instabilität und soziale Verelendung und provoziert territoriale Zersplitterung und Krieg. Schließlich folgt der Kritik der politischen Metamorphose der deutschen Neuen Linken von WeItrevolutionären zu Nationalrevoluzzern die (utopische?) Forderung eines neuen Internationalismus nach dem Vorbild Rosa Luxemburgs, der sich dem nationalen Wahn entgegenstellen muss.

A.-S. P 

Krisenherd Europa. Nationalismus, Regionalismus, Krieg. Elsässer, Jürgen ... (Mitarb.J Göttingen: Verl. Die Werkstatt, 1994. 4275., DM 36,- / sFr 33,10/ ÖS 281,-