Multi-Level-Governance

Ausgabe: 2007 | 4

Klimapolitik ist auch ein zentrales Thema dieses Bandes über Multi-Level-Governance. „Mehrebenenpolitik“ – so die deutsche Übersetzung – bringt die Verzahnung unterschiedlicher Ebenen der Politik in der internationalen (Staaten)Welt zum Ausdruck. Sie dient als „Raster, Konzept und Theorieansatz zur Beschreibung politischer Prozesse, in denen nationalstaatliche Grenzen und Politikfelder überschritten werden, in denen staatliche wie nicht-staatliche und privatwirtschaftliche Akteure zusammenwirken, und alte wie neue Instrumente entwickelt werden.“ (Achim Brunnengräber, Heike Walk, S. 20).

 

Zunächst zu den Beiträgen über globale Klimapolitik: Kristina Dietz analysiert das Konzept unterschiedlicher Verwundbarkeiten (Vulnerabilitäten) sowie erste Erfahrungen mit Anpassungsprogrammen im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit. Ihr Resümee: „Die Welt lässt sich nicht vertikal und entlang volkswirtschaftlicher Statistiken in vulnerable und nicht vulnerable Länder einteilen.“ (S. 180) Melanie Weber verweist auf die Fallen der Wahrnehmung des Klimawandels als „globale Umweltgefahr“, da dadurch eine Gleichheit in der Betroffenheit suggeriert werde, die in der Wirklichkeit so nicht zutrifft. Die Kluft zwischen hohem Problembewusstsein und geringem Handlungspotenzial führe in Analogie dazu allein zu technologisch orientierten „globalen“ Lösungsstrategien von der „Technikrevolution“ durch CO2-Abspaltung und Lagerung über die Weiternutzung der Atomenergie bis hin zur „solaren Revolution“. Alternative und dezentrale Lösungsansätze würden dabei vernachlässigt. Die Autorin erinnert an die fatalen wirtschaftlichen Folgen dieser Versäumnisse: „Der Bericht des ehemaligen Weltbank-Ökonomen Stern bekräftigt, dass ökonomisches Nicht-Handeln im Vergleich zu klimaschützendem Handeln aus Sicht der Unternehmen teurer wird, und zwar um das 5 – bis 20fache.“ (S. 203)

 

Achim Brunnengräber verweist schließlich auf die Inkonsistenz der Klimapolitik, der etwa die Welthandelspolitik der globalen Marktliberalisierung diametral entgegenstehe. Modelle dezentralen Wirtschaftens und verringerter Transportwege würden so keine Chance erhalten. Dies ist für ihn ein wesentlicher Grund dafür, dass die „Schere zwischen klimapolitischer Rhetorik und realen Emissionsentwicklungen“ immer weiter auseinander klafft (S. 207). Heike Walk konstatiert in diesem Zusammenhang zunehmende Demokratiedefizite etwa in der internationalen Welthandels- oder –finanzpolitik und die Schwierigkeit, „transnationale Öffentlichkeiten“ herzustellen, was den an Bedeutung gewinnenden NGOs aus ihrer Sicht auch nur selektiv gelingt.

 

Der Band analysiert aber auch Erfolgsbeispiele von Multi-Level-Governance. Daniel Bongardt etwa betont die Erfolge der europäischen Umweltpolitik, die zu einer „erstaunlichen Regelungsdichte“ geführt und in vielen Bereichen „Race to the Bottom“-Effekte angestoßen habe. Dies bestätigen auch Marcel Braun und Tilman Santarius anhand der „Blitzkarriere“ des europäischen Emissionshandelssystems (s. a. Hofmann, Nr. 173 in dieser PZ). Durch die breite Einbindung von NGOs, die dem Instrument zunächst skeptisch gegenüber gestanden seien, hätte die Europäische Kommission geschickt die Kenntnisse dieser Gruppen für eigenes „capacity building“ genutzt. Deutschland, das wegen starken Drucks der Wirtschaft gegen den Emissionshandel war, hätte sich dem Insistieren der EU beugen müssen.

 

Als deutsche Erfolgsgeschichte beschreibt Bernd Hirschl das Erneuerbare-Energien-Gesetz, das zwar noch zu keiner grundlegenden Transformation der zentralistischen deutschen Energiewirtschaft, aber doch zu einem Bedeutungsgewinn der Erneuerbaren Energien (EE) geführt habe. Der engagierten Initiative einzelner Abgeordneter sei es im Bündnis mit der EE-Branche gelungen, das Gesetz gegen den Widerstand des Wirtschaftsministeriums und der Energiewirtschaft durchzubringen; ein Erfolg der auch auf die EU ausstrahle.

 

Wie der Mulit-Level-Governance-Ansatz zur Analyse von Sozial- und Raumpolitik verwendet werden kann, wird in abschließenden Beiträgen über lateinamerikanische Sozialfonds, (negative) Erfahrungen mit der Wasserprivatisierung (Bolivien) sowie Raum- und Flächennutzungskonflikten (Deutschland) erörtert. Resümee: Der Band ist vornehmlich an ein Fachpublikum gerichtet und hat seine Stärken (auch für Nicht-PolitikwissenschaftlerInnen) dort, wo konkrete Politikfelder analysiert werden. H. H.

 

Multi-Level-Governance. Klima-, Umwelt- und Sozialpolitik in einer interdependenten Welt. Hrsg. v. Achim Brunnengräber ... Baden-Baden: Nomos, 2007., € 49,- [D], 50,40 [A], sFr 87,40

 

ISBN 978-3-8329-2706-6