Moral und Verantwortung in der Wissenschaftsvermittlung

Ausgabe: 1987 | 4

 Anlässlich des Fuschl-Gespräches der Hoechst AG (4./5. Mai 1984) wurden Probleme der Wissenschaftsvermittlung diskutiert. Die Defizite bei der Information der Öffentlichkeit über die Ergebnisse und Auswirkungen der Forschung werden aus der Sicht von Wissenschaft und Journalismus erörtert. Kritische Bemerkungen zur gegenwärtigen Situation beziehen sich u.a. auf den Konflikt zwischen Wissenschaft und Journalismus sowie Wissenschaft und Öffentlichkeit. Zum einen existiert der Machtanspruch und autoritäres Verhalten der Wissenschaft, zum anderen spricht man von »wissenschaftlichen Kommunikations-Prostitutierten« (Langenbucher). Die Ursachen des schlechten Verhältnisses sind vielfältig. Beklagt wird die Benachteiligung der Wissenschaftsberichterstattung im Vergleich zu anderen Sparten hinsichtlich der Sendezeit und Platzierung (Ausnahme: Zeitschriften). Von wissenschaftlicher Seite zweifelt man an der fachlichen Kompetenz der Journalisten und unterstellt ihnen „Halbwissen“. Der sogenannte Verlautbarungs(Tagesordnungs-)journalismus wird längst von Politikern professionell genutzt. »Die Wissenschaft hat dies allerdings noch nicht erkannt«, (Flöhl) Beide Seiten sind aufgerufen, Korrekturen vorzunehmen. Erster Schritt dazu wäre das Abgehen von überholten, jeweils interesse- und machtbedingten Positionen.  Dass die Information der Öffentlichkeit über wissenschaftliche Ergebnisse und deren Auswirkungen heute notwendiger denn je ist, darüber sind sich alle Autoren einig. Bei der Frage, inwieweit der Wissenschaftsjournalismus in der Lage ist, angemessen zu informieren oder nach den Voraussetzungen einer möglichst verständlichen Berichterstattung überwiegen hingegen die Schuldzuweisungen. Insofern bleiben die Beiträge mit einigen Ausnahmen (Rühl, Flöhl) gekonnt diffus im wissenschaftlichen Jargon des Abwägens. Auch das Jammern über die Benachteiligung der Wissenschaft im Programmschema der Rundfunkanstalten oder der Platzmangel in der Tageszeitung hilft wenig weiter. Neben der Struktur des Journalismus (Zeitdruck, Platzproblem, politische Abhängigkeiten, festgefahrener Redaktionsalltag) sind Selbstüberschätzung und Ignoranz, Vorurteile hinsichtlich journalistischer Kompetenz aber auch wirtschaftliche und politische Zwänge der Wissenschaft im gegenseitigen Abhängigkeitsverhältnis Gründe für das herrschende Kommunikationsdefizit. Zu wenig diskutiert wurden die Auswirkungen des wissenschaftlicher} »Katastrophenjournalismus« etwa nach Tschernobyl und Basel. Nach solchen Ereignissen kommt fundierte Information über komplizierte Sachverhalte zu spät. Wissenschaftspublizistik muss lange vorher informieren und konkrete Fragen nach dem» Warum und Aber« stellen.

Moral und Verantwortung in der Wissenschaftsvermittlung. Die Aufgabe von Wissenschaftler und Journalist. Hrsg. u. Rainet Flöhl und Jürgen Fricke. Mainz: v. Hase und Koehler, 1987. 150 S. (Fuschl-Gespräche; Bd. 1)