Mitteleuropa. Eine Spurensicherung

Ausgabe: 1997 | 4

Als der sogenannte Ostblock auseinanderbrach, witterten jene Morgenluft, die, beseelt von einem militanten Antikommunismus, bereits während des Kalten Krieges eifrig Kontakte zu Dissidenten gepflegt hatten. In Österreich waren dies vor allem bestimmte Kreise der ÖVp. unter ihnen der sich allmählich bis zum Vizekanzler empordienende Erhard Busek. Launig erzählt er, wie er während des Kalten Kriegs im Diplomatengepäck verbotene Bücher und Manuskripte durch den Eisernen Vorhang schmuggelte. Die SPÖ-Regierungen bemühten sich derweil um ein möglichst positives Verhältnis zu den kommunistischen Machthabern, galt es doch, die Wirtschaftsbeziehungen auszubauen. Schon damals spukte der mythische Begriffsmitteleuropa" durch konservative Intellektuellenzirkel diesseits und jenseits des Eisernen Vorhangs. Oft war er gesättigt mit Reminiszenzen an die Habsburgermonarchie, die zum Modellfall friedlichen Zusammenlebens verschiedener Völker verklärt wurde. Mit der österreichischen Mitteleuropaidee verbunden war dabei stets auch ein mehr oder minder ausgeprägtes antideutsches Sentiment bzw. Ressentiment. Wer vor diesem Hintergrund Buseks neues Mitteleuropabuch zur Hand nimmt. wird also auf schwarz-gelbe Nostalgie und rückwärts gewandte Utopie gefaßt sein. Doch derlei Erwartungen werden enttäuscht. Busek scheint in den letzten Jahren um einiges nüchterner geworden zu sein, und insgeheim dürfte er auch von seinen Kritikern gelernt haben. Die Mitteleuropaschwärmerei, wie sie in Krakauer Kaffeehäusern um 1990 so üppig gedieh, ist weitgehend verflogen und hat recht pragmatischen Überlegungen zur Zukunft Europas Platz gemacht: Busek plädiert für die Integration der Reformstaaten in die EU und in die NATO, kritisiert Deutschland mit keinem Wort und möchte das spezifisch Mitteleuropäische vornehmlich  im Bereich  der Kultur realisiert  sehen.  Daß es auch eine ”linke", kritische Mitteleuropadiskussion gibt wie sie etwa von Karl-Markus Gauß und im Umkreis der Zeitschrift "Literatur und Kritik" geführt wird, ignoriert Busek geflissentlich. Doch auf der Basis seines christlich-konservativen Weltbilds entwickelt der ehemalige ÖVP-Politiker mittlerweile ohnehin immer mehr zeitkritische und aufklärerische Gedanken. die ihn gelegentlich sogar in die Nähe der von ihm vehement abgelehnten "Träumer der 68er Generation" (S. 36) rücken. R.L.

Busek, Erhard: Mitteleuropa. Eine Spurensicherung. Wien: Kremayr & Scheriau, 1997. 256 S., DM 39,80/ sFr 36,80/ öS 295,-