Mit den Bäumen sterben Menschen - Kulturgeschichte ökologischen Bewußtseins

Ausgabe: 1994 | 1

Den Vorreitern eines ökologischen Denkens ein Denkmal zu setzen, ist das Anliegen von Herausgeber Jost Hermand, der mit der vorliegenden Aufsatzsammlung "erste Bausteine zu einer noch ungeschriebenen Kulturgeschichte des ökologischen Bewußtseins" liefern will. Dabei kann anhand ausgewählter Problembereiche demonstriert werden, wie schon in der Vergangenheit die Grundsteine für die ökologischen Probleme der Gegenwart gelegt wurden. In seinem Beitrag hebt Hermand die verheerenden Folgen hervor, die der vermehrte Holzbedarf einer ständig wachsenden Bevölkerung für den Bestand der deutschen Wälder hatte. Schon im 18. und 19. Jahrhundert erhoben jedoch "Grüne" unterschiedlichster ideologischer Provenienz ihre Stimmen gegen den fortschreitenden Raubbau an der Natur. Diskurse über die "innere Natur" des Menschen behandelt hingegen Michael Niedermeier. Ob naturschwärmerische Lebensform oder das Beharren auf Rationalität und Disziplinierung der rechte pädagogische Weg für die heranwachsende Jugend seien, entzweite Aufklärer und Philanthropen schon im Zeitalter Goethes.

Wie ein Naturraum zum Gegenstand unterschiedlichster menschlicher Interessen (wirtschaftlicher, wissenschaftlicher, ästhetischer) wurde, zeigt Clemens A. Wimmer am Beispiel der Alpen. Im beginnenden 20. Jahrhundert formierten sich jedoch Heimat- und Naturschutzverbände, die gegen die Bedrohung von Tieren und Pflanzen durch Rodung und plündernde Wanderhorden auftraten. Die Rolle des Proletariats bei der kapitalistischen Naturausbeutung ist Ulrich Linses Thema. Obwohl dessen vorherrschendes Denkmodell von Industrialisierung und Naturbeherrschung geprägt war, kann der Autor auch in der historischen Arbeiterbewegung Ansätze eines Umweltbewußtseins erkennen. William Rollins stellt dem die zentrale Funktion des bürgerlichen Heimatschutzes bei der Herausbildung eines ökologischen Bewußtseins gegenüber, der durch die Verbindung von kulturellem Traditionalismus und ästhetischem Landschaftsideal breite Teile der Öffentlichkeit für Umweltanliegen interessieren konnte. Gerade diese Ästhetisierung von Landschaft kritisiert im Kontrast dazu Joachim Wolschke-Bulmahn bei den bürgerlichen Jugendbewegungen, wie etwa beim Wandervogel. Denn durch die Ausblendung sozialer Mißstände und konkreter Herrschaftsverhältnisse werde das Naturerlebnis zu einem Privileg einer schmalen Elite, die sich die Exklusivität des Landschaftsgenusses für sich alleine reservieren wollte. Als geistiger Ahnherr dieser Bewegung kann Ludwig Klages gelten. Martin Kagel bleibt es vorbehalten, dessen Essay "Mensch und Erde" als zivilisationskritisches, ja geradezu ökologisches Manifest zu präsentieren. Schon 1913 beklagte der Philosoph die lebensvernichtende Wirkung von Industrialisierung und Fortschritt und erfaßte damit eine weitverbreitete Natursehnsucht seiner Zeit. G.S.

Mit den Bäumen sterben die Menschen. Zur Kulturgeschichte der Ökologie.

Hrsg. v. Jost Hermand. Köln, Weimar, Wien, 1993. 2435., DM 35,- / sFr 30,-/öS 273