Leben als Konsum

Ausgabe: 2010 | 2

Auch der britische Soziologe Zygmunt Baumann übt heftige Kritik am Konsumismus unserer Zeit. Das prägende Merkmal der spätmodernen Gesellschaft sieht er im Wandel von einer „Gesellschaft der Produzenten zu einer Gesellschaft von Konsumenten“. In „Leben als Konsum“ geht er insbesondere der Frage nach, wie sich in der Konsumgesellschaft menschliche Beziehungen sowie das Feld der Politik verändern. Im Konsumismus seien aus Bürgern Konsumenten geworden, die Waren kaufen, und dabei nicht merkten, dass sie selbst zur Ware geworden sind, die sich anpreisen muss, um soziale Anerkennung zu erhalten oder einen Job, so die zentrale These. Die Konsumgesellschaft zeichne sich dadurch aus, dass sie auch die zwischenmenschlichen Beziehungen der Konsumlogik unterwirft: „Das wichtigste Kennzeichen der Konsumgesellschaft – so sorgfältig verborgen und verheimlicht es auch ist – ist die Verwandlung von Konsumenten in Waren, genauer, ihrer Auflösung in der Warenflut.“ (S. 21)

 

Auf die Frage, was sie einmal werden wollen, antworten viele Teenager heute, so ein Beispiel des Soziologen für die Vermarktung des eigenen Lebens, dass sie „einfach berühmt werden wollen“. „Berühmt zu sein“, heiße in diesen Träumen nicht mehr (aber auch nicht weniger), „als auf den Titelseiten von Tausenden von Zeitschriften und auf Millionen von Bildschirmen gezeigt zu werden, im Gespräch zu sein, gesehen, wahrgenommen und damit, vermutlich, von vielen begehrt zu werden – genau wie die Schuhe, Röcke oder Accessoires, die derzeit in den Hochglanzmagazinen und auf den Fernsehbildschirmen prangen, und damit im Gespräch sind, gesehen werden, wahrgenommen, begehrt.“ (S. 22)

 

Baumann beschreibt unterschiedliche Kontexte des Konsumismus, etwa die Anpreisung des eigenen Marktwerts am Arbeitsmarkt, die zunehmende Verknappung der frei verfügbaren Zeit, das Sich-Zur-Schau-Stellen junger Menschen im Internet auf Partnersuche, die private und öffentliche Verschuldung,  sowie die dramatischen Folgen der Exklusion vom Konsum, die das Gefühl des Versagens potenziere. Die Armen seien, so der Soziologe pointiert, der „Kollateralschaden“ der Konsumgesellschaft, sie seien „völlig nutzlos“, werden „nicht gebraucht, und somit sind sie unerwünscht“ (S. 164). „Die Gesellschaft wäre sehr viel besser dran, wenn die Armen ihre Zelte niederbrennen und sich selbst gleich mit verbrennen würden.“ (ebd.)

 

 

 

Beliebigkeit der Medien

 

Bedenkenswert ist auch Baumanns Kritik an der Beliebigkeit moderner Informationsvermittlung in den Massenmedien. Politische Nachrichten hätten mittlerweile – wie andere Waren auch – ein sehr rasches Verfallsdatum, sie dienten vornehmlich der Unterhaltung und würden kaum mehr Konsequenzen für das politische (Wahl)-Verhalten der BürgerInnen zeitigen:  „Da Schlagzeilen in einer mit Informationen übersättigten Gesellschaft in erster Linie (und wirkungsvoll) dazu dienen, die Schlagzeilen des Vortags aus dem öffentlichen Gedächtnis zu löschen, haben all die Probleme, die in den Schlagzeilen als von ´öffentlichem Interesse´ dargestellt werden, eine sehr geringe Chance, vom Zeitpunkt der letzten Meinungsumfrage bis zum Zeitpunkt der nächsten Wahlen zu überleben.“ (S. 192) Die Kurzlebigkeit von Nachrichten reiche nur mehr, Stimmungen zu erzeugen, jedoch nicht, politische Meinungen zu formen, geschweige denn entsprechendes politisches Engagement anzuregen. In der „Ära der pointilitischen Zeit“ (ebd.) würden die BürgerInnen auch im Bereich der Information zu „Konsumenten“. Während demokratische Teilhabe eine langfristige Investition sei, „die Zeit braucht, um zu reifen“ (ebd.), würden „Info-Tainment-Events“ konsumiert, die „weder Wurzeln in der Vergangenheit ... noch einen festen Halt in der Zukunft“ (ebd.) haben.

 

 

 

Rückkehr zu Solidarität

 

Wo sieht der Autor Zukunftsperspektiven? Der „Verbraucheraktivismus“ auch von Bewegungen für „kritischen Konsum“ ist für den Soziologen in Analogie zur Ausbreitung des Konsumentendaseins Ausdruck des Niedergangs traditioneller Formen politischer Partizipation und des gesellschaftlichen Engagements, also ein Symptom der zunehmenden Politikmüdigkeit. Die Vereinzelung, die auch zur Individualisierung von Versagen oder Verarmung geführt habe, könne hingegen nur durch das „Prinzip der gemeinschaftlich organisierten, kollektiven Versicherung gegen individuelles Unglück“ überwunden werden. Einer „Ordnung des Egoismus“ müsse eine „Ordnung der Gleichheit“ entgegengesetzt werden, die sich – so die zentrale Schlussaussage von Baumann – nur durch Wohlfahrtsstaaten sicherstellen lasse. Nur so sei die Erfahrung einer „gefühlten und gelebten Gemeinschaft“ (S. 182) möglich. Das Gefühl der „Zugehörigkeit“ wäre in diesem Sinne zu übersetzen als „Vertrauen auf den Nutzen menschlicher Solidarität“ (S. 184). Baumann illustriert dies an einer Passage des Parteiprogramms der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Schwedens von 2004: „Jeder ist irgendwann einmal schwach. Wir brauchen einander. Wir leben unser Leben im Hier und Jetzt, in Gemeinschaft mit anderen, inmitten ständiger Veränderungen. Wir werden alle bereichert, wenn alle sich einbringen können und niemand außen vor bleibt. Wir sind alle stärker, wenn es Sicherheit für alle gibt und nicht nur für einige wenige.“ (zit. S. 185). Dieser Alternative zur auf Konkurrenz und ständiger Ausschlussdrohung basierenden Konsumgesellschaft ist wohl nichts hinzuzufügen. H. H.

 

Baumann, Zygmunt: Leben als Konsum. Hamburg: Hamburger Edition, 2009. 204 S.,€ 15,00 [D], 15,50 [A], sFr 25,50; ISBN 978-3-86854-211-0