Kreativität gibt es nur im Plural

Ausgabe: 2015 | 3
Kreativität gibt es nur im Plural

image005Bringen wir’s gleich auf den Punkt: das Genie als bewunderte und verklärte Persönlichkeit hat die Bühne verlassen, ist überholte, widerlegte bildungsbürgerliche Fiktion. Denn Kreativität gelingt nur im Plural, im kongenialen Zusammenwirken unterschiedlicher Talente und Fähigkeiten, die sich, auch im Bewusstsein und in der Kenntnis individueller Grenzen, akzeptieren und wechselseitig fördern.

So die zentrale, fundierte These von Olaf-Axel Burow. Der Autor, Erziehungswissenschaftler an der Universität Kassel, dessen Publikationen mehrfach auch in ProZukunft empfohlen wurden, legt in dem hier vorgestellten Buch auf sympathische und, was wohl noch mehr zählt, überzeugende Weise dar, dass Kreativität als kontinuierlich zu pflegender und so auch gelingender Prozess gemeinsamen Zusammenwirkens neu gedacht und reflektiert werden muss.

Ausgehend von bereits dargelegten überzeugenden historischen Beispielen (Commedian Harmonists, The Beatles, die Apple-Gründer Steve Jobs und Steve Wozniak etc.) erläutert Burow praxisnah und allgemein verständlich Voraussetzungen und Erfolgsfaktoren von kreativen Prozessen. Dabei ist etwa von der scheinbar banalen, aber keineswegs zu unterschätzenden Bedeutung inspirierender Unordnung, der Revision des Arbeitsplatzes oder von Überzeugungen ebenso die Rede wie von der Fähigkeit, das Staunen zu bewahren. Spannend und vor allem konkret motivierend wird es dort, wo der Autor darauf zu sprechen kommt, dass die Vorstellung von kreativem Einzelgängertum historisch belastet, mutmaßlich falsch ist und vor allem den aktuellen Herausforderungen in der „Epoche der neun Unübersichtlichkeit“ (S. 52) nicht gerecht wird. Die permanent beschworene oder auch gefürchtete Epoche der Individualisierung sei, so Burow, „nur ein kurzes Übergangsstadium. Ab einer bestimmten Schwelle der Individualisierung wird ein Gegentrend zur Gemeinschaftsbildung notwendig.“ (S. 54) Wir wären, so seine optimistische These – und hier bezieht er sich dezidiert auf Robert Jungk[vgl. S. 166ff.] – gerade dabei, neue Wege in diese Richtung zu erkunden.

 

„Felder“ gemeinschaftlicher Kreativität

Individuelles Talent, die Konzentration auf Domänen und Disziplinen sowie vor allem das Verständnis und die Berücksichtigung von gesellschaftlich wirksamen „Feldern“ (nach K. Lewin), in denen jede/r Akteur/in bewusst eine Rolle einnimmt, sie „eigensinnig“ mitgestaltet und so die Möglichkeit zur Entfaltung persönlicher Interessen und Begabungen hat, sind die wesentlichen Faktoren für das Gelingen persönlicher und gemeinschaftlicher Kreativität. Im kollektiven Flow werden persönliches Glück und Teamerfolg zugleich erlebt.

Wem diese Darstellung vorrangig theoriebelastet erscheint – Burow folgt nach mehreren praxisorientierten Publikationen ganz bewusst diesem Ansatz –, dem sei versichert, dass der Autor, ein durch die pädagogische Praxis an Schulen und Universitäten versierter Kenner seines Themas, immer wieder konkrete, nachvollziehbare Tipps zum persönlichen oder auch kollektiven „Transfer“ bereithält. Zukunftsorientierte Entscheidungsgremien – in Anbetracht der aktuellen, immensen Herausforderungen sollten das (trans-)nationale Verantwortungsträger in Politik und Wirtschaft ebenso sein wie sozial nachhaltig orientierte Unternehmen, die sich den „Luxus“ flacher, teamorientierter Entscheidungsfindung bewahrt haben oder diesen neu entdecken wollen – finden hier ein präzises Manual zur Entwicklung kollektiver Kreativität. Dringend empfehlenswert. Walter Spielmann

 Burow, Olaf-Axel: Team-Flow. Gemeinsam wachsen im Kreativen Feld. Beltz, 2015. 207 S., € 25,60 [D], 26,40 [A] ; ISBN 978-3-407-36569-9