Konfuzius und Marktwirtschaft

Ausgabe: 1996 | 1

Nach dem" Ende der Geschichte", so Fukuyama in der Einleitung zu seinem neuen Werk, sei es naheliegend, sich der Wirtschaft zuzuwenden. Seiner breitangelegten vergleichenden Studie legt der Erfolgsautor und Berater des US-Außenministeriums die These zugrunde, daß es bei der Entwicklung unterschiedlicher Wirtschaftsformen nicht nur auf individuelle Tugenden wie Sparsamkeit, Arbeitsethos oder Rationalität im Sinne Max Webers ankomme, sondern zugleich oder viel mehr noch auf kulturelle Besonderheiten von Gesellschaften. "Spontane Soziabilität", das heißt die Fähigkeit, auf Verträgen und Vertrauen basierende Wirtschaftsorganisationen jenseits von Familienbanden aufzubauen, nennt Fukuyama als entscheidenden Faktor des sozialen Kapitals, eine Fähigkeit, die er insbesondere in den Gesellschaften der Vereinigten Staaten, Deutschlands und Japans ausmacht. Diesen stünden eher "familistische Gesellschaften" wie Italien, Frankreich oder China gegenüber, deren Wirtschaftsstruktur durch Familienbetriebe auf der einen, von zentralistischen Strukturen auf der anderen Seite charakterisiert werde. Ohne Familienbetriebe per se abzuwerten, befürchtet der Autor, daß es diesen schwerer gelinge, professionelles Management zu entwickeln. Netzartigen Strukturen, die die Vorteile von Klein- und Großunternehmen verbänden, gehöre die Zukunft. Vertrauen, das -sich nur in offenen Gesellschaften entwickle, werde auch die nachtayloristische, teamorientierte Produktionsweise erfordern. In seiner vorsichtigen Kritik an der Gesellschaft der USA konstatiert Fukuyama eine Krise des Vertrauens, die sich in der Verabsolutierung von Individualrechten und politischen Lobby-Organisationen ebenso äußere wie im Auseinanderfallen der Zivilgesellschaft. Das chinesische "Wirtschaftswunder" könne am weitgehenden Fehlen eben jener Zivilgesellschaft und somit an den politischen Strukturen scheitern, ein Problem, das Fukuyama auch in den postkommunistischen Ländern sieht. Ausgehend von Hegels "Kampf um Anerkennung", der alle Menschen bewege und der sich in liberalen Marktwirtschaften von militärischen Machtkämpfen auf die Arena der Wirtschaft verlagert habe, kommt der Autor zur abschließenden Überzeugung, daß eine funktionierende kapitalistische Volkswirtschaft mehr die Demokratie stärke, als dies umgekehrt je der Fall sein könne, ein Aspekt der neben dem Beharren auf kulturellen Eigenheiten das Erstarken fernöstlicher Staaten bewirke. Fukuyama spielt in diesem umfangreichen Werk seine Hauptthese von der Soziabilität als entscheidendem Moment für die Entwicklung moderner Wirtschaftsstrukturen an vielen Beispielen durch und scheut dabei keineswegs die Gefahr von Wiederholungen. Der Titel der deutschen Übersetzung scheint irreführend, da weder eine konfuzianische Marktwirtschaft noch ein Konflikt der Kulturen im Zentrum steht, sondern, wie der englische Originaltitel sagt "Trust. The Social Virtues and the Creation of Prosperity" (also: Vertrauen - Soziale Tugenden und die Schaffung von Wohlstand). Ökologische Probleme bringt der Verfechter eines freien Kapitalismus übrigens in den gut 500 Seiten nie zur Sprache. H. H.

Fukuyama, Francis: Konfuzius und Marktwirtschaft. Der Konflikt der Kulturen. München: Kindler. 1995. 526 S.