Kommunale Bürgerbeteiligung

Ausgabe: 2014 | 1

Allenthalben konstatiert und auch beklagt werden die steigende Unzufriedenheit mit und ein verbreitetes Misstrauen gegenüber Politikern und politischen Parteien. Gleichzeitig verortet wird nach Auskunft der Sozialwissenschaften eine zunehmende „Bereitschaft zur aktiven Beteiligung an der Gestaltung der gesellschaftlichen Lebensumwelt“ (S. 7). Diese durchaus widersprüchlich erscheinenden Trends geben Rätsel auf, die Helmut Klages (emeritierter Organisationssoziologe und Gesellschaftswissenschaftler) und Angelika Vetter (Sozialwissenschaftlerin an der Universität Stuttgart) zum Anlass nehmen, die Frage zu beantworten, welche Form von Demokratie und welche Art von Beteiligungsangebot zur Problemlösung beitragen könnten. Sie argumentieren, dass vor allem eine Systematisierung und Verstetigung von Bürgerbeteiligungsangeboten nötig sei, um die angesprochenen Rätsel zu lösen. Dementsprechend beschäftigt sich der Hauptteil des Buches mit der Frage, wie ein solcher Prozess aussehen und erfolgreich umgesetzt werden könnte. Vorangestellt ist eine ausführliche Problemanalyse der bestehenden Situation, gefolgt von einem praxisorientierten Teil unter Einbeziehung eigener Erfahrungen.

Wir überspringen den an den Anfang gestellten „Rückblick auf die Entstehung der Demokratie in Europa“ und wenden uns gleich der Ursachenanalyse der konstatierten Kluft zwischen Bürgern und Politik zu. Klages/Vetter stellen zunächst zwei konträr aufeinander bezogene Misstrauenssachverhalte fest, nämlich einerseits das auf die politischen Eliten zielende Misstrauen der Bevölkerung und andererseits das umgekehrt auf die Bürgerinnen und Bürger zielende Misstrauen großer Teile der politischen Eliten. Es handelt sich dabei um eine sich aufschaukelnde Spirale gegenseitigen Misstrauens, ein epidemisches Krankheitsphänomen, „dass die Gesellschaft von innen her befallen hat und dass sie aushöhlen und möglicherweise zerstören kann, wenn ihm nicht Einhalt geboten wird“. Die Autorin und der Autor nennen dieses Phänomen einen Teufelskreis mit Steigerungstendenz und gehen davon aus, „dass die Überwindung dieses Teufelskreises im Zentrum der Bemühungen um die anstehende Demokratiereform stehen sollte“ (S. 23).

Die folgende Analyse beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit der kommunalen Ebene und versucht zu begründen, warum gerade die lokale Politik zu einer „Stärkung“ oder „Erneuerung“ der Demokratie von unten beitragen könnte. Dieser Idee liegt in erster Linie die Annahme zugrunde, dass „bessere“ oder „besser nachvollziehbare“ demokratische Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse in den Kommunen die politische Kultur der Demokratie stärken und ihre Legitimität verbessern können (vgl. S. 26). Im Übrigen belegen empirische Befunde (Studie der EU-Kommission, Umfrage in Deutschland 2008), dass die Bürgerinnen und Bürger – bei insgesamt niedrigen Niveaus – am stärksten den Institutionen auf lokaler und regionaler Ebene vertrauen. Klages/Vetter wenden sich im Folgenden klar gegen fiktive, utopische und „Pseudo“-Konzepte ohne Erfolgsaussichten und entwickeln dem gegenüber eine „realistische“ Position lokaler Bürgerbeteiligung.

Praxisbeispiel aus Heidelberg

Das Beispiel „Leitfaden für mitgestaltende Bürgerbeteiligung in der Stadt Heidelberg“, an dem beide Wissenschaftler mitgewirkt haben, zeigt, wie es funktionieren könnte. Der Heidelberger Gemeinderat beschloss im Frühjahr 2011 ein „trialogisches“ Gremium aus Bürgervertretern, Gemeinderatsmitgliedern und Verwaltungsangehörigen einzusetzen, um „Leitlinien“ für eine befriedigendere Bürgerbeteiligung zu entwickeln. Für die Bürgerschaft wurden dazu VertreterInnen aus fünf wichtigen zivilgesellschaftlichen Gruppen in den Prozess eingebunden (Kirchen, Sportvereine, BI, Bürgerstiftung und Stadtteilvereine). Ein wesentliches Ziel der Leitlinienentwicklung war die Stärkung des gegenseitigen Verständnisses und Vertrauens zwischen Bürgerschaft, Politik und Verwaltung. U. a. sind folgende Aspekte für diese Leitlinien entscheidend: Frühzeitige und umfassende Information der Öffentlichkeit, kooperative Planung und Ausgestaltung des Beteiligungskonzeptes, Verbindlichkeit von Beteiligungsprozessen und -ergebnissen sowie die kontinuierliche Evaluation. Hinzu kommt die Abklärung von Grundlagen, die gewährleistet sein müssen, damit Bürgerbeteiligung auf dem richtigen Weg ist wie z. B. rechtliche und administrative Bedingungen sowie Absprachen bezüglich der Verbindlichkeit und etwaige Rechtsfolgen.

In ihrer abschließenden Betrachtung kommen die Autorin und der Autor zu dem Schluss, dass Bürgerbeteiligung nie zur Akzeptanz bei allen Beteiligten führen könne. Deshalb gilt noch immer das Mehrheitsprinzip am Ende eines ausführlichen und transparenten Diskussionsprozesses als Weg, über den Konflikte gelöst werden müssen. Notwendig sei aber eine umfassende Beteiligungskultur, die von allen gelernt und internalisiert werden müsse. Dazu gehört neben der Bereitschaft von Politik und Verwaltung auch jene der BürgerInnen, Zeit und Energie einzusetzen, um an Entscheidungen der Kommune teilzunehmen. Es geht letztlich darum, „die Identifikation der gesamten Bürgerschaft mit ihrer Kommune“ zu stärken (S. 123). Bei allem bleibt aber die repräsentative Demokratie weiterhin das dominierende Instrument der Entscheidungsfindung, betonen die Autoren. Alfred Auer

 

Klages, Helmut; Vetter, Angelika: Bürgerbeteiligung auf kommunaler Ebene. Perspektiven für eine systematische und verstetigte Gestaltung. Berlin: Ed. Sigma, 2013. 131 S.,  € 15,32 ; ISBN 978-3-8360-72934-9