Kleine Geschichte der Finanzkrisen

Ausgabe: 2013 | 4

„Kleine Geschichte der Finanzkrisen“, so der Titel einer Abhandlung von Christian Chavagneux, Chefredakteur der in Paris erscheinenden Zeitschrift L´Économie politique. Gut verständlich beschreibt der Wirtschaftsjournalist die vier großen historischen Finanzkrisen, beginnend mit der Tulpenspekulation im Holland des 17. Jahrhunderts als erste Spekulationskrise in der Geschichte des Kapitalismus über die vom schottischen Geschäftsmann John Law im 18. Jahrhundert ausgelöste Börsenblase, der die Überschuldung des französischen Königs Ludwig des XIV zu „lösen“ versprach, bis hin zu den beiden von den USA ausgehenden Börsenkrachs in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts: der Finanzkrise von 1907, die von der wegen dubioser Spekulationen Pleite gegangenen „Knickerbocker Trust Company“ mit 18.000 Anlegern ausgelöst wurde und aufgrund des folgenden Bankenruns beinahe zum Zusammenbruch des Finanzsystems geführt hätte, sowie schließlich der großen Krise von 1929, deren Folgen bekannt sind.

Chavagneux macht unter Berufung auf zahlreiche Studien vier wesentliche Gemeinsamkeiten dieser vier Krisen aus, die er dann ausführlich auf die aktuelle Situation von 2008 überträgt: 1.) „das schlechte Risikomanagement der Finanzinstitute“, 2.) die „Unterschätzung der Rolle, die Betrug, soziale Ungleichheit und Ideologie spielen“, 3.) der Einfluss der Deregulierungspolitik sowie schließlich 4.) der „feste Wille, vor der Katastrophe die Augen zu verschließen“ (zusammenfassend S. 14). Dieses „Krisenschema“ sei, so der Autor, gut auf die Finanzkrise seit 2008 anzuwenden, der die Zunahme unkontrollierter Finanzinnovationen („Versicherungen, die nicht versichern“ S. 144), eine Deregulierung seit den 1980er-Jahren, die Zunahme von Betrug à la Madoff sowie eine zunehmende Ungleichverteilung als „Wasser auf die Krisenmühlen“ (S. 159) vorangegangen seien. Zudem habe der steigende politische Einfluss der Reichen sowie eine von den Wirtschaftswissenschaften gelieferte neoliberale Theorie das Wegschauen der Politik begünstigt, wiewohl es bereits sehr früh Warnungen, etwa durch einen Bericht der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) aus dem Jahr 1986 (!) gegeben habe.

Chavagneux beschreibt in der Folge den mittlerweile bekannten Hergang der jüngsten Finanz-Katastrophe und ihrer Abwendung durch das massive Eingreifen der Staatsregierungen, er skizziert die Verlagerung der Finanzkrise auf die Staatsverschuldungskrise – bezüglich des Euro-Raums kritisiert der Autor das viel zu späte und zu wenig entschiedene Eintreten der EU-Gremien gegen die Verwerfungen in den Euro-Südländern, denen die Finanzmärkte das Geschehen diktiert hätten (erst der Europäische Stabilitätsmechanismus habe die Situation beruhigt) – und er widmet sich schließlich den bisherigen Regulierungsversuchen seitens der Politik.

 

Regulierung ist möglich

Der Wirtschaftsjournalist sieht nicht nur Möglichkeiten einer Regulierung – das Gerede von zu hoher Komplexität der Finanzmärkte, die keiner genügenden Kontrolle unterzogen werden könnten, hält er für Ideologie -, sondern auch vielversprechende Ansätze, die gemacht worden seien: etwa verpflichtende Clearingstellen, die gleich Notariaten den Handel mit Finanzprodukten transparent machen sollen (über den Weg dorthin gibt es zwischen den USA und der EU noch Uneinigkeit, nicht aber über die Notwendigkeit) oder höhere Eigenkapitalquoten für Banken mit Sondervorschriften für „systemrelevante Banken“. Der Autor optimistisch: „Das Vorhaben, die Liquidität der Banken zu kontrollieren, ist eine geradezu historische Entwicklung.“ (S. 224) Zuversichtlich ist Chavagneux auch bezüglich des Aufbaus von Risikofonds, die eine erneute Belastung der öffentlichen Haushalte verhindern sollten, falls es doch wieder zu Bankenkrisen kommt. Die Transaktionssteuer hält Chavagneux für zu wenig effektiv, sie würde nicht verhindern, dass sich Finanzmarktakteure wieder auf zu riskante Geschäfte einlassen; vielmehr plädiert er für den in den USA sowie in Europa diskutierten Ansatz geordneter Bankeninsolvenzen. Finanzinstitute müssten laut diesem Vorschlag ein sogenanntes „Bankentestament“ (living will) vorlegen, ein Dokument, das eine zielgerichtete Intervention des Staates ermögliche. Gesunde Teile der Banken sollen auf diesem Weg gerettet, die spekulativen Unternehmensparten jedoch „ihrem Schicksal … überlassen“ werden (S. 229). In der EU wird ja gerade um ein Bankeninsolvenzrecht gerungen.

Den größten Handlungsbedarf sieht der Autor in den Kontrollstrukturen, dem „schwarzen Loch der Bankenregulierung“ (S. 232), also den Auflagen für bankinterne Kontrollen; notwendig seien neue Risikomodelle, die gerade auf Worst Case Szenarien Bedacht nehmen. Ratingagenturen würden diese Aufgabe nicht leisten. Zu wenig konsequent würden auch die Begrenzungsvorschriften für Bankerboni gehandhabt, so weise die in der EU eingeführte „verzögerte Boni-Auszahlung“, die kurzfristigen Spekulationserfolgen Vorschub leisten soll, große Interpretationsspielräume auf. Doch der Autor bleibt optimistisch, dass die Regulierung der Finanzmärkte möglich ist und er sieht darin den einzig wirksamen Weg, größere Verwerfungen in Zukunft zu vermeiden. Einen Beitrag dazu könnte, so der Autor abschließend, auch die 2011 gegründete Organisation Finance Watch leisten, die Mittel und Ressourcen mehrerer Dutzend Nichtregierungsorganisationen in Europa mit dem Ziel bündelt, bei der Reform der Finanzmarktregulierung die öffentlichen Interessen zu vertreten.       Hans Holzinger

 

Chavagneux, Christian: Kleine Geschichte der Finanzkrisen. Spekulation und Crash von 1637 bis heute. Zürich: Rotpunktverlag, 2013. 270 S., € 29,90 [D], 30,80 [A], sFr 38,-

ISBN 978-3-85869-537-6